Interessante neue Broschüre

Als Beilage zur März-Ausgabe des «Schweizer Monat» erscheint dieser Tage eine Studie des Weltwoche-Wirtschaftsredaktors Florian Schwab, ergänzt mit einem einführenden Essay von Tito Tettamanti. Titel der Broschüre: «Was hat der Bürger von den Bilateralen? Eine Kosten-Nutzen-Analyse aus ökonomischer Sicht».

EU-NO Newsletter vom 4. März 2016

Die Broschüre umfasst 48 Seiten. Wir vermitteln den Lesern des EU-No-Bulletins Auszüge aus dem Kapitel «Welche Zuwanderung aus der EU ist nach Kosten-Nutzen-Erwägungen für die Schweiz optimal?» (SS.18ff., die Zwischentitel wurden eingefügt von der Redaktion EU-No):

Nutzen und Kosten

Der abnehmende Grenznutzen ist eigentlich eine Standardannahme der Ökonomie, ebenso wie die steigenden (bestenfalls konstanten) Grenzkosten. Bezogen auf die Zuwanderung heisst dies: Der erste respektive der produktivste Zuwanderer bringt in ökonomischer Hinsicht am meisten und kostet am wenigsten. Jeder zusätzliche Einwanderer schafft einen geringeren Nutzen als der vorhergehende und bewirkt höhere Kosten, die bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum von einem Prozent ins Gewicht fallen. Wie gesagt bauen alle neuesten Arbeiten auf dem schwer zu plausibilisierenden (Neben-)Ergebnis der KOF (Konjunkturforschungsstelle – Schweizer Forschungsinstitut der ETH Zürich; Red. EU-No) auf, die durch das FZA (Personenfreizügigkeits-Abkommen; Red. EU-No) bedingte, zusätzliche Einwanderung belaufe sich auf 12 500 Personen pro Jahr. Zudem wird in den Untersuchungen angenommen, dass diese EU-Zuwanderer erstens im Durchschnitt produktiver seien als die inländische Bevölkerung und dass sie sich stärker am Arbeitsmarkt beteiligten, also im Durchschnitt häufiger erwerbstätig seien als die inländische Bevölkerung.

Die vollständige Studie

Das heutige EU-No-Bulletin vermittelt seinen Lesern einen kurzen Ausschnitt der im Vorspann erwähnten Studie. Sie besticht insgesamt durch aufschlussreiche Untersuchungen, Tabellen und Grafiken und vermittelt interessante, überzeugende Schlussfolgerungen. Die in der Studie enthaltenden Anmerkungen bleiben in den präsentierten Ausschnitten unerwähnt. Wir empfehlen Ihnen, die ganze Studie herunterzuladen:

http://schweizermonat.ch/uploads/assets/bilaterale.pdf

 

Stimmen die Annahmen?

Dieses Vorgehen ist einmal deshalb nicht ohne Tücken, weil es die Einwanderer in ihrem Beitrag zur schweizerischen Volkswirtschaft auf eine homogene Masse reduziert. Es wäre vielmehr die Frage zu stellen: Welche Zuwanderung aus der EU ist nach Kosten-Nutzen-Erwägungen für die Schweiz optimal? Die Antwort auf diese Frage liegt nicht in erster Linie in einer Maximalzahl, sondern vielmehr in der Qualität der Zuwanderung: Sind die Zuwanderer willens und in der Lage, langfristig für sich selbst und ihre Familien zu sorgen, und belasten sie die gemeinschaftlichen Infrastrukturen nicht über Gebühr? Steigern sie das BIP pro Kopf oder sind sie in Sektoren mit ausgetrocknetem Arbeitsmarkt tätig? Wie sähen die Ergebnisse aus, wenn es mit einer klugen Migrationspolitik gelänge, jährlich die volkswirtschaftlich betrachtet am wenigsten produktiven 12 500 Zuwanderer aus der EU fernzuhalten? Oder wie sähen die Ergebnisse aus, wenn man die am wenigsten produktiven 25 000 EU-Zuwanderer durch 12 500 noch produktivere Einwanderer aus dem Rest der Welt ersetzen könnte?

Indem man die gesamte Nettozuwanderung aus den EU-Staaten von 55 529 Personen pro Jahr seit 2009 (ohne Grenzgänger) weitgehend arbiträr in einen FZA-bedingten (12 500 Personen) und einen nicht-FZA-bedingten Teil (43 029 Personen) aufspaltet, verstellt man den Blick auf die Tatsache, dass für die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse der Zuwanderung selbstverständlich die gesamte (Netto-)Zuwanderung massgeblich ist.

Die Produktivität der Zuwanderer

Das BIP pro Kopf, das den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet, ist ein vager Gradmesser für die Produktivität einer Volkswirtschaft. Eine Zuwanderung von Personen, die produktiver sind als der Durchschnitt der ansässigen Bevölkerung, hebt das BIP (Bruttoinlandprodukt; Red. EU-No) pro Kopf, eine Immigration von weniger produktiven Arbeitskräften hingegen senkt das BIP pro Kopf. Sofern die Zuwanderer unter der Personenfreizügigkeit im Durchschnitt besser qualifiziert sind als die ansässige Bevölkerung, so müsste sich dies demnach in der Stundenproduktivität zeigen.

Zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Produktivität schreiben die ETH-Forscher, eine erkennbare Verbesserung der Wachstumsrate des BIP/Kopf würde durch die Personenfreizügigkeit «wohl nur dann bewirkt, wenn diese die Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität beschleunigt» (Graff & Sturm, 2015, S. 15). Die Bezifferung eines sol­chen Effekts erscheine «beim jetzigen Kenntnisstand zumindest schwierig».

Mit anderen Worten: es wurde bislang statistisch nicht gezeigt, dass die Schweizer Wirtschaft durch die Personenfreizügigkeit effizienter geworden wäre in dem Sinn, dass sie mit gleichbleibendem Faktor-Input mehr produzieren könnte.

Einen Produktivitätsschub nach Einführung der Bilateralen sieht auch jene Studie nicht, die im Auftrag des Seco die Entwicklung der Arbeitsproduktivität pro Stunde untersuchte. Sie kommt zum Ergebnis, dass die Arbeits-Produktivität in der Schweiz seit Jahrzehnten im Vergleich zu anderen Ländern, auch der industrialisierten Vergleichsgruppe, nur wenig wächst. Während sich die Stundenproduktivität selber aufgrund der Bilateralen nicht nachweislich verändert hat, hat sich bei ihren Determinanten offenbar durchaus etwas verschoben: «Im Zeitraum 2003-2013 waren die Schweizer Kapitalinvestitionen für sich alleine betrachtet nicht besonders tief, sondern nur dann, wenn man sie ins Verhältnis zum Arbeitseinsatz setzt. Das bedeutet, dass die Investitionen mit der Beschäftigungszunahme nicht Schritt halten konnten». Dieser Befund wird bestätigt, wenn man die Investitionen in Kapital der Ausweitung der Arbeitsstunden gegenüberstellt.

Personenfreizügigkeit bremst Produktivitätswachstum

Investitionen in physisches Kapital waren zwischen 1985 und 2002 der dominante Treiber des Produktivitätswachstums. Ihre relative Bedeutung hat nach der Einführung der Personenfreizügigkeit abgenommen, was darauf hindeutet, dass die Personenfreizügigkeit eine dämpfende Wirkung auf die durchschnittliche Kapitalausstattung der Arbeitsplätze hatte. Im Gegensatz zu einem Regime mit beschränkter Zuwanderung mussten die Unternehmer weniger in den Faktor Kapital investieren.

Man steht vor einem Rätsel: Einerseits hat die Personenfreizügigkeit gemäss Statistiken des Seco überdurchschnittlich viele hochqualifizierte Zuwanderer angezogen, andererseits ist die Stundenproduktivität weiterhin nur langsam gewachsen. Woher kommt diese Diskrepanz? Ein möglicher Erklärungsansatz wäre das Auseinanderdriften zwischen der formalen Ausbildung der EU-Zuwanderer und ihren tatsächlichen Fähigkeiten zur Wertschöpfung (Stichwort: freizügige Vergabe akademischer Titel in manchen europäischen Ländern).

Ein zweiter Erklärungsansatz wäre, dass nur der Ausbildungsstand der Zuwanderer erfasst wird, nicht aber jener der Rückwanderer. Ein deutscher Doktor der Computerwissenschaften, der im Jahr 2008 bei Google in Zürich angestellt wird und im Jahr 2010 nach Kalifornien zieht, wird im Jahr 2008 als gut qualifizierter Zuwanderer erfasst, nicht aber bei seiner Ab­wanderung aus der Schweiz. Die Aufschlüsselung der Bildungsabschlüsse findet nur in der Betrachtung der Bruttozuwanderung statt, nicht in der Betrachtung der Nettozuwanderung. Unterstellt man, dass die besonders Hochqualifizierten auch besonders mobil sind, dann ergibt sich daraus, dass das Bildungsniveau der langfristig im Land verbleibenden Einwan­derer aus der EU tiefer ist, als es die Statistiken über die Bruttozuwanderung vermuten lassen.

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