Verhandlungsunterbruch in Brüssel

Noch im Juli dieses Jahres, kurz nach Aufnahme der offiziellen Verhandlungen für einen «Rahmenvertrag» zwischen der Europäischen Union und der Schweiz, vermeldeten die Medien, es sei mit baldigem Durchbruch zu rechnen.

EU-NO Bulletin vom 23. Oktober 2014

Insbesondere Bundesbern setzte sich selbst unter Zeitdruck. Es sei für den Erfolg der Verhandlungen ausschlaggebend, diese noch zur Regierungszeit José Manuel Barrosos unter Dach und Fach zu bringen.

José Manuel Barroso scheidet nun aber mit seiner gesamten Equipe Ende Oktober als EU-Kommissionspräsident aus dem Amt. Jean-Claude Juncker übernimmt mit neuem Kader das Steuerruder. Von Verhandlungs-Durchbruch ist nicht mehr die Rede. Der EU-Chefunterhändler, David O’Sullivan, wird nach Washington versetzt. Die Verhandlungen sind unterbrochen. Bern wird sich in einigen Wochen einer neuen EU-Verhandlungsdelegation gegenübersehen.

Die Vorgeschichte

Die Verhandlungen ergaben sich aus einer dem Bundesrat im Dezember 2012 formell übermittelten Stellungnahme Brüssels: Die EU sei zu weiteren bilateralen Verhandlungen mit Bern solange nicht mehr bereit, als sich die Schweiz nicht zur «institutionellen Einbindung» in die Strukturen der EU bereitfinde. Der Bundesrat identifizierte sich bald mit diesem Ansinnen und schlug Brüssel vor, die geforderte «institutionelle Einbindung» der Schweiz in einem mit Brüssel auszuhandelnden «Rahmenvertrag» festzuschreiben. Die in diesem Rahmenvertrag zu verankernden Bestimmungen sollten für sämtliche bereits existierenden, aber auch für alle zukünftigen bilateralen Vereinbarungen zwischen Brüssel und Bern vorrangig gelten.

Dieser Vorschlag Berns löste Vorverhandlungen aus, geführt von den Spitzendiplomaten beider Seiten. Diese loteten aus, was unter «institutioneller Einbindung» konkret zu verstehen sei. Sie einigten sich auf drei Punkte, die im sog. «Non-Paper» vom 13. Mai 2013 schriftlich festgehalten wurden. Die Schweiz erklärte sich zu folgenden Zugeständnissen bereit:

  • Erstens werde Bern fortan sämtliche Beschlüsse und Gesetze der EU, die Sachverhalte betreffen, die in bilateralen Vereinbarungen zwischen Bern und Brüssel geregelt worden sind oder noch geregelt werden, automatisch übernehmen.
  • Ergäben sich aus der Auslegung solcher Vereinbarungen Meinungsverschiedenheiten, werde die Schweiz zweitens die zu den Meinungsverschiedenheiten getroffenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes vorbehaltlos als endgültig ankerkennen. Fremde Richter würden damit über die Anwendung fremden Rechts durch die Schweiz endgültig bestimmen.
  • Und drittens gestand der Bundesrat der EU ein Sanktionsrecht zu – also die Verhängung einseitiger Strafmassnahmen – für den Fall, dass Bern einen Entscheid des EU-Gerichts einmal nicht übernehmen könne, zum Beispiel dann, wenn ein Schweizer Volksentscheid einem Brüsseler Gerichtsurteil widersprechen würde.

Weitere Forderungen Brüssels

Bevor auf der Grundlage dieser drei im Voraus vereinbarten Punkte offizielle Verhandlungen aufgenommen wurden, reichte die EU zwei weitere Forderungen an die Adresse der Schweiz nach:

  • Nachdem die Schweiz anlässlich geografischer Erweiterungen der EU (Osterweiterung) auf Ersuchen Brüssels jeweilen sog. Kohäsionszahlungen teilweise gar in Milliardenhöhe geleistet habe, solle die Schweiz ihrer Verpflichtung zu solchen Kohäsionsbeiträgen fortan durch alljährlich zu leistende Beiträge nachkommen – als wäre die Schweiz gegenüber der EU tributpflichtig.
  • Und zweitens müsse die Schweiz eine von Brüssel ernannte Überwachungsbehörde akzeptieren, die, stationiert in der Schweiz, zu beaufsichtigen habe, ob die Schweiz alle der EU gegenüber eingegangenen Verpflichtungen auch wortgetreu erfülle. Die Schweiz müsste gleichsam Ja sagen zu neuen Vögten.

Als Brüssel diese beiden Zusatzforderungen erhob, erfolgte von Seiten Berns vorerst keine formelle Stellungnahme. Beide Zusatzforderungen waren aber offensichtlich auch Gegenstand der seit Mitte 2014 laufenden formellen Verhandlungen über den angestrebten Rahmenvertrag.

Die Landesregierung stellte an die Adresse der EU übrigens keinerlei Gegenforderungen: Der Bundesrat betonte indessen, er habe sog. «rote Linien» festgelegt, deren Überschreitung er in den Verhandlungen nie zulassen werde. Wo diese roten Linien gezogen wurden, wurde allerdings weder dem Parlament, noch der Öffentlichkeit offengelegt.

Der Verhandlungsprozess stockt

Offensichtlich kam der angestrebte rasche Abschluss der formellen Verhandlungen nicht zustande. Die Verhandlungen sind aus den eingangs erwähnten Gründen derzeit unterbrochen.

Beide Seiten haben sich zum Stand der Verhandlungen geäussert. Die EU demonstrierte ihre Entschlossenheit, sowohl die drei im «Non-Paper» festgehaltenen als auch die zwei nachgereichten Forderungen so durchzusetzen, wie sie ursprünglich formuliert worden sind. Der Schweizer Aussenminister, Didier Burkhalter, betonte derweil, Bern habe bislang keinerlei Überschreitung der von ihm gesetzten – der Öffentlichkeit aber inhaltlich nicht konkretisierten – roten Linien hinnehmen müssen. Die sog. «automatische Übernahme» von Brüsseler Recht sei gar vom Tisch. Die Landesregierung habe lediglich einer «dynamischen Übernahme» von EU-Beschlüssen zugestimmt. Das bedeute, dass Bern Brüsseler Vorgaben nicht einfach diskussionslos übernehme. Es fände dazu in Bern vielmehr eine eigene – gemäss EU allerdings keinerlei Alternativen zulassende – Beschlussfassung statt: Autonomer Nachvollzug anstelle automatischer Übernahme – das Ergebnis ist allerdings dasselbe.

Mittels Wortklauberei will Bern auch das Brüssel zugestandene Sanktionsrecht verschleiern. Ohne dass sich an der Tatsache der bundesrätlichen Zustimmung zu dem der EU einseitig eingeräumten Sanktionsrecht etwas ändert, spricht Bern einfach nur noch von «Ausgleichsmassnahmen». Die EU lässt dazu verlauten, dass ihr die schweizerische Umschreibung des EU-Sanktionsrechts eigentlich gleichgültig sei, solange die verschleiernde Umschreibung an der materiellen Berechtigung der EU, gegen die Schweiz einseitige Strafmassnahmen zu erlassen, nichts ändere.

Auch zum von der EU geforderten Überwachungsorgan liess sich die Schweiz anlässlich des Verhandlungsunterbruchs erstmals vernehmen: Sie akzeptiere, dass solche Überwachung zwar erfolgen solle, vertrete aber den Standpunkt, dass die Überwachung durch ein schweizerisches Gremium zu erfolgen sei. Die EU schwieg sich darüber aus, ob sie diesen Schweizer Standpunkt zu teilen bereit ist. Stattdessen gab die EU zu erkennen, dass auch die definitive Regelung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU im geplanten Rahmenvertrag zu verankern sei – womit das Schweizer Ja von Volk und Ständen zur Initiative gegen die Masseneinwanderung wohl annulliert würde.

Der schleichende EU-Beitritt

Damit ist der Stand der Verhandlungen anlässlich der Ablösung aller EU-Gremien auf den 1. November 2014 umschrieben. Klar wird dabei: Der von Bundesbern angestrebte Rahmenvertrag wird nur zustande kommen, wenn die Schweiz einschneidenden Verzicht auf Souveränität zu leisten bereit ist. Die EU-Entscheide werden, sollte der Rahmenvertrag nach den Vorstellungen der Verhandlungspartner Wirklichkeit werden, die direkte Demokratie in der Schweiz aushebeln, ja in wichtigen Fragen verunmöglichen. Die Schweiz müsste hinnehmen, fortan nicht mehr auf gleicher Augenhöhe mit der EU als gleichberechtigter Partner bilateral verhandeln zu können. Sie würde zum Befehlsempfänger, zum Untertan – ganz so, als wäre sie eine Kolonie Brüssels.

Auf diesem Weg versucht der Bundesrat ganz offensichtlich den Widerstand einer grossen Bevölkerungsmehrheit gegen den EU-Beitritt zu brechen. Mit dem Rahmenvertrag soll die Schweiz in eine derart unehrenhafte, unakzeptable Untertanenrolle gedrängt werden, dass absehbar ist, dass sich im Land eine Mehrheit heranbilden wird, die im Vollbeitritt der Schweiz eine bessere und erträglichere Alternative zu erblicken bereit ist als im Untertanenverhältnis gemäss Rahmenvertrag.

Die Schleichbeitritts-Taktik des Bundesrates würde damit ihr eigentlich angestrebtes Ziel erreichen.

 

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