Sicherheitspolitische Konsequenzen einer EU-Einbindung 

Es wäre nie zur Krim-Annexion gekommen, «wenn nicht die EU mit geradezu zuhälterhaftem Getue versucht hätte, die Ukraine in ihr Bett zu ziehen». Mit diesen Worten bringt Bazon Brock, einer der führenden europäischen Kulturphilosophen, die Ursache einer der schwersten militärischen Krisen auf dem europäischen Festland seit dem Fall der Sowjetunion auf den Punkt.

EU-NO Bulletin vom 30. Oktober 2014

Was als europäisches Friedensprojekt die Nationen versöhnen sollte, hat sich zu einer Union entwickelt, die gegebenenfalls eigene machtpolitische Interessen in- und ausserhalb des europäischen Kontinents mit militärischen Mitteln durchsetzen kann. Die Entwicklung dazu war schleichend: Sie begann 1954 mit der Gründung der Westeuropäischen Union WEU (der neben den Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft EG nur noch Grossbritannien angehörte) und gipfelte schliesslich im Vertrag von Lissabon (2009), der für die damals 27 Mitgliedstaaten die «schrittweise Einführung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung» festlegte.

Vertrag von Lissabon

Gemäss Lissaboner Vertrag «können die Mitgliedstaaten an militärischen oder humanitären  Missionen teilnehmen und sind künftig in Fragen der europäischen Verteidigung an eine Solidaritätsklausel gebunden…

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) bildet einen Rahmen für die Zusammenarbeit, auf deren Grundlage die EU operative Missionen in Drittländern durchführen kann. Diese Missionen dienen insbesondere der Friedenssicherung und der Stärkung der internationalen Sicherheit. Sie stützen sich auf zivile und militärische Mittel, die von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden…»

Für Neutrale gibt es (noch) folgende Einschränkungen: «Die Klausel über den gegenseitigen Beistand berührt nicht die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten, wie insbesondere der traditionell neutralen Staaten.» Davon unberührt bleiben allerdings dennoch «operative Missionen in Drittländern… zur Friedenssicherung und der Stärkung der internationalen Sicherheit.»

Trotz dieser Ausnahmeregelung ist die EU mit dem Lissaboner Vertrag faktisch und rechtlich auch ein Militärbündnis geworden.

Neutralität missachtet

Ob die Ausnahmeregelung auch noch für die nächsten Generationen gelten wird, ist mehr als fraglich, wenn man in Betracht zieht, wie die EU die Position der Neutralen in der Vergangenheit schleichend aufgeweicht hat. Folgendes Beispiel ist instruktiv:

Im Vertrag von Maastricht 1992 wurde die «Sicherheitspolitik» erstmals ausdrücklich der Zuständigkeit der EU zugewiesen – wenn auch noch ohne zwingende gegenseitige Beistandsverpflichtung, damit die Neutralen zustimmen konnten. Eine deutsch-französische Erklärung forderte dann 1996 bereits eine generelle «solidarische Gemeinschaft, auch im Verteidigungsbereich». Im selben Jahr kam es zur Revision des Maastricht-Vertrags, die u.a. eine verstärkte militärische Komponente vertraglich verankern wollte. Dies scheiterte noch am Widerstand der neutralen und bündnisfreien Staaten Finnland, Irland, Österreich und Schweden (sowie UK), weil diese die Integration der WEU (die einen klar militärisch-operativen Auftrag hatte) in die EU verhindern wollten.

Man einigte sich schliesslich auf folgende «offene» Aussage: Die «Integration der WEU in die EU ist möglich, falls der Europäische Rat dies beschliesst.»

Integration der WEU

Bereits Ende 2000 wurde die Verschmelzung der WEU mit der EU definitiv beschlossen. Um die Neutralen und Bündnisfreien zu beschwichtigen, erhielten diese den Status von WEU-Beobachtern. Gleichzeitig begann die EU ihre Beziehungen zwecks Koordination der militärischen Anstrengungen mit der Nato institutionell zu regeln. Ab 2003 wurde – immer gegen den Widerstand der Neutralen – die Idee eines wechselseitigen Beistandspaktes und einer rüstungspolitischen Koordination diskutiert und definitiv im Vertrag von Lissabon 2009 festgeschrieben.

Fazit: Die Neutralen wurden vereinnahmt

Erstens hat die Mitbestimmung der Neutralen und der Bündnisfreien nicht verhindern können, dass sie ab 2009 durch eine gemeinsame «Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik» vereinnahmt worden und jetzt Teil eines Militärpaktes sind.

Zweitens sind die Ausnahmeregelungen reine neutralitätspolitische Alibiübungen, weil im Krisen- oder Konfliktfall das Abseitsstehen einzelner Mitgliedstaaten in einer zukünftig politischen Union schon aus Gründen der «raison d’être» nicht akzeptiert würde.

Drittens muss die Schweiz deshalb davon ausgehen, dass ihre Neutralität bei einem Beitritt zur EU keinen Bestand mehr hätte.

(jst)

 

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