Verhandlungen Schweiz-EU über einen Rahmenvertrag

Mitte November haben sich zwei Schweizer CVP-Parlamentarier in Luxemburg über die Funktionsweise des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einerseits, des EFTA-Gerichtshofs andererseits ins Bild setzen lassen.

EU-NO Newsletter vom 26.11.2015

Die Parlamentarier-Reise der Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin und des Luzerner CVP-Ständerats Konrad Graber erfolgte im Blick auf die zwischen Bern und Brüssel laufenden Gespräche über den Abschluss eines Rahmenvertrags. Dieser soll Regeln festsetzen, die für sämtliche bisherigen sowie alle zukünftigen bilateralen Vereinbarungen zwischen Bern und Brüssel übergeordnet verbindlich sein sollen.

Fremdes Recht verfügt durch fremde Richter

Gemäss den Verhandlungsmandaten beider Seiten soll dieser Rahmenvertrag die «institutionelle Einbindung» der Schweiz in die EU-Strukturen bewirken. Dies soll erreicht werden, indem EU-Beschlüsse zu Sachverhalten, die in bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU enthalten sind, von der Schweiz fortan als Folgebeschlüsse automatisch zu übernehmen sind. Käme es zu Meinungsverschiedenheiten, würde der EU-Gerichtshof, aus Sicht der Schweiz das Gericht der Gegenpartei, das definitive, unanfechtbare Urteil fällen. Könnte die Schweiz – z.B. wegen eines anderslautenden Volksentscheids – ein solches Urteil nicht übernehmen, wären die EU-Instanzen zum Erlass von Sanktionen gegen die Schweiz berechtigt.

Da die beiden CVP-Reisenden der Parlamentarischen EFTA/EU-Delegation angehören, hat das Sekretariat dieser Delegation die von den beiden Parlamentariern in ihren Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse in einer vom 17. November 2015 datierten Medienmitteilung der Öffentlichkeit kundgetan.

Der Europäische Gerichtshof fällt verbindliche Urteile

Von den Vertretern des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), also des höchsten EU-Gerichts liessen sich die beiden Schweizer belehren, dass dieses Gericht in «Streitbeilegungsverfahren nur Entscheidungen trifft, die für beide Seiten verbindlich sind». Folgerichtig zogen die CVP-Reisenden aus dieser Mitteilung den Schluss, dass es, sobald der EuGH ein Urteil gefällt habe, eigentlich «nichts mehr zu verhandeln» gebe – das Urteil sei ja endgültig.

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie widerspricht aber klar der von Bundesrat Didier Burkhalter, dem Vorsteher des Departements für Auswärtige Angelegenheiten am 18. Dezember 2013 an einer bundesrätlichen Pressekonferenz präsentierten Behauptung, wonach der EU-Gerichtshof lediglich «Empfehlungen» abgebe. Über deren Umsetzung würden darauf politische Instanzen entscheiden.

Die EU stellte diese Aussage Burkhalters schon vor zwei Jahren, am gleichen Tag, da sie der Bundesrat geäussert hatte, entschieden in Abrede. Jetzt haben auch die CVP-Politiker erkannt, dass Burkhalters Erklärung lediglich die mit dem Rahmenvertrag verbundene substanzielle Abwertung der Eigenständigkeit der Schweiz hätte tarnen sollen.

Die Luxemburg-Reisenden stellten zusätzlich fest, dass der EuGH nicht bloss unanfechtbare Urteile gegen die Schweiz fällen könnte. Diese Kompetenz räume der EU vielmehr auch das Recht ein, das Verhalten der Schweiz der EU gegenüber generell ständig zu überwachen. Selbst die CVP-Reisenden erkennen in solcher Vertragsabsicht einen Angriff auf die Souveränität unseres Landes.

Ist der EFTA-Gerichtshof für die Schweiz vorteilhafter?

Ein weiterer Besuch galt dem Präsidenten des für Streitfälle im Europäischen Wirtschaftsraum (im EWR, dem die Schweiz nicht angehört) zuständigen EFTA-Gerichtshofs, Prof. Dr. Dr. Carl Baudenbacher (Prof. Baudenbacher ist zwar Schweizer, er vertritt im genannten Gerichtshof aber das EWR-Mitglied Fürstentum Liechtenstein). Prof. Baudenbacher erläuterte den beiden Schweizer Parlamentariern die Auswirkungen einer Überwachung der Schweiz durch die EFTA-Überwachungsbehörde. Bei solcher Überwachung würde einzig der EFTA-Gerichtshof über eine der Schweiz vorgeworfene Vertragsverletzung entscheiden – aber dies ausdrücklich auch dann, wenn die dem EFTA-Mitglied Schweiz vorgeworfene Vertragsverletzung die EU betreffen würde.

Zwar weichen die beiden CVP-Parlamentarier einer offenen Empfehlung aus, welche Überwachungsinstanz – jene der EFTA oder jene der EU – für die Schweiz die vorteilhaftere wäre. Aus dem Communiqué geht indessen klar hervor, dass sie der Beaufsichtigung der Schweiz durch die EFTA, wie sie über die EWR/EFTA-Staaten schon heute stattfinde, klar den Vorzug geben gegenüber einer Beaufsichtigung durch EU-Instanzen.

Was bindet die EU?

Man kann diese Schlussfolgerung als durchaus nachvollziehbar betrachten. Sie ist allerdings wertlos. Denn die beiden zu den europäischen Gerichten reisenden CVP-Politiker haben die alles entscheidende Frage an die von ihnen konsultierten EU-Instanzen offensichtlich gar nicht gestellt. Die Frage nämlich, ob denn die EU-Instanzen, wenn sich die Schweiz der Oberaufsicht durch die EFTA und damit dem Entscheid des EFTA-Gerichtshofes unterstellen möchte, daraus resultierende Entscheide des EFTA-Gerichtshofes überhaupt als auch für die EU verbindlich anerkennen würde und akzeptieren könne. Der Grund, dass diese Frage ungestellt blieb, ist durchsichtig: Diese Frage ist – das wissen selbst die reisenden CVP-Parlamentarier – längst beantwortet.

Bereits in den EWR-Verhandlungen vor dem denkwürdigen Nein der Schweiz zum EWR/EU-Vertrag am 6. Dezember 1992 war diese Frage der gerichtlichen Zuständigkeit bei Streitfällen die ausschlaggebende Schlüsselfrage. Schon damals hat die EU auf der Grundlage des geltenden EU-Rechts klipp und klar festgehalten, dass sowohl für die EU insgesamt als auch für alle EU-Mitgliedstaaten einzig und allein der Europäische Gerichtshof (EuGH), also das höchste EU-Gericht verbindliches Recht sprechen könne.

Diesem Grundsatz getreu hat der EU-Gerichtshof der Europäischen Union bekanntlich vor nicht allzu langer Zeit ausdrücklich untersagt, die Europäische Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen. Denn diese Unterzeichnung hätte die EU in Menschenrechts-Streitfällen dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unterstellt, also einem anderen Gericht als dem EU-Gerichtshof (EuGH). Doch die Anerkennung «fremder Richter» sei der EU grundsätzlich untersagt, verfügte der EU-Gerichtshof.

Was die EU der Schweiz zumuten will, nämlich die Anerkennung «fremder Richter», verbietet der EU-Gerichtshof der EU selbst kategorisch.

Streitschlichtung für Gleichberechtigte

Es existiert bezüglich Streitschlichtung bei Meinungsverschiedenheiten zur Auslegung von vereinbarten Verträgen eine einzige, allein befriedigende Lösung. Die Lösung, welche souveräne Staaten, wenn sie auf der Basis der Gleichberechtigung miteinander Verträge abschliessen, immer wählen: Mit der Streitschlichtung wird in aller Regel ein Schiedsgericht betraut, das von beiden Vertragspartnern je in gleicher Stärke beschickt wird und meistens unter neutralem, aber von beiden Seiten anerkanntem und akzeptiertem Vorsitz steht.

Allein solche Streitschlichtung respektiert die Souveränität und Gleichberechtigung beider Vertragspartner.

Mit dem von der EU angestrebten Rahmenvertrag will Brüssel der Schweiz die bis heute anerkannte Gleichberechtigung als Vertragspartnerin aber ausdrücklich entziehen. Die EU will die Schweiz mit diesem Vertrag «institutionell einbinden», also den EU-Entscheidungsmechanismen unterwerfen.

Der anvisierte Rahmenvertrag bewirkt – in diametralem Gegensatz zu den nicht enden wollenden Beteuerungen seiner Befürworter – keineswegs eine «Erneuerung des bilateralen Wegs» zwischen souveränen, gleichberechtigten Partnern. Der Rahmenvertrag, würde er je Tatsache, würde den bilateralen Weg beenden, ja zerstören. Denn er sieht die Schweiz nicht mehr als gleichberechtigte Vertragspartnerin, vielmehr als jeglicher sachlichen Mitbestimmung beraubte Befehlsempfängerin gegenüber der EU. Der Rahmenvertrag ist nichts anderes als ein Unterwerfungsvertrag.

us

 

Quelle: «Medienmitteilung», Sekretariat Delegation EFTA/EU, 3003 Bern, 17. November 2018

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