EU-Frage tritt in den Vordergrund

Mit Hilfe sämtlicher Parteien – mit Ausnahme der SVP – ist es dem Bundesrat gelungen, die gegenwärtig für die Schweiz wichtigste Frage, die Frage nach der Gestaltung des Verhältnisses zu Brüssel, aus dem Nationalratswahlkampf zu verbannen.

EU-NO Newsletter vom 12. November 2015

Die Wahlen sind jetzt vorbei. Das Thema EU tritt in den Vordergrund. Zahllose Behauptungen kursieren. Viele sind tatsachenwidrig oder frei erfunden. Dazu einige Beispiele.

 

Abschottung

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Die Schweiz schickt sich an, sich von Europa abzuschotten» (Forschungsmagazin Horizonte, die Zeitschrift des Nationalfonds, zur angeblichen Abkoppelung der Schweiz von der Forschung, 03. Juni 2014).

Die Tatsachen:

Die Schweiz liegt sowohl beim Anteil ausländischer Forscher (57 Prozent) als auch beim Anteil der einheimischen Forscher mit Auslanderfahrung (78 Prozent) europaweit mit Abstand an der Spitze. Die Schweiz belegt aktuell bei vielen internationalen Rankings in der Forschung und Innovation Spitzenplätze, unter anderem bei den wissenschaftlichen Publikationen oder bei Patentanmeldungen in Relation zur Bevölkerungszahl. Zudem finden die Schweizer Wissenschaftspublikationen in der internationalen Forschungsgemeinde überdurchschnittliche Beachtung.

 

Arbeitslose / Arbeitslosigkeit

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Der freie Personenverkehr gilt nicht für Arbeitslose» (Abstimmungsbüchlein 2005).

Die Tatsachen:

EU-Arbeitslose können legal in die Schweiz einreisen, wenn sie angeben, «zwecks Arbeitssuche» in die Schweiz zu kommen.

 

Bankgeheimnis / Schengen

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Die Teilnahme an Schengen bringt wirtschaftliche Vorteile. So wird das Bankgeheimnis für die direkten Steuern vertraglich abgesichert» (Abstimmungsbotschaft 5. Juni 2005).

Die Tatsachen:

«Wenn wir den Marktzutritt in der EU wollen, müssen wir auch die anderen Mechanismen der EU übernehmen, beispielsweise den Informationsaustausch» (Eveline Widmer-Schlumpf am 11.2.2010).

 

Einwanderungsdruck / Einwanderung

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Wie die Erfahrungen in der EU zeigen, sind die Ängste [. . .], die Einwanderung aus EU-Staaten in die Schweiz werde stark zunehmen, nicht begründet». Es ist «nicht mit einem Einwanderungsdruck» zu rechnen (Abstimmungsbüchlein zum ersten bilateralen Paket, Abstimmung vom 21. Mai 2000).

Micheline Calmy-Rey zur Befürchtung, es könnte jährlich ein Vielfaches der vom Bundesrat errechneten 10 000 Einwanderer einwandern: «Das ist ein Phantasma.»

Die Tatsachen:

Der jährliche Einwanderungs-Überschuss aus der Europäischen Union in die Schweiz beträgt netto um die 80 000 Personen (Durchschnittszahl 2009-2014).

 

Familiennachzug / Wirtschaft

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Die Zuwanderung in die Schweiz wird in erster Linie durch die Nachfrage der Wirtschaft bestimmt» (Bundesrätin Simonetta Sommaruga, 11.12.2013, in der Fragestunde im Nationalrat).

Die Tatsachen:

Gemäss Statistik des Bundesamts für Migration (BFM) entfallen 44 Prozent der Einwanderung auf den Familiennachzug, auf Aus- und Weiterbildung und auf «nicht bestimmbare» Berufstätigkeit. Zudem ist die starke Beschäftigungszunahme der vergangenen Jahre vor allem auf die starke Expansion staatsnaher Dienstleistungen zurückzuführen. Es handelt sich dabei grösstenteils nicht um innovationsgetriebenes, produktivitätssteigerndes Stellenwachstum.

 

«Personenfreizügigkeit» Im Bild:

Titelblatt-Illustration der «Weltwoche», 5. Dezember 2013

Grenzwachtkorps

Das wurde der Öffentlichkeit versprochen:

«Die Grösse des Grenzwachtkorps bleibt mindestens auf dem Stand von Dezember 2003» (Abstimmungsbotschaft 5. Juni 2005).

Die Tatsachen:

Von 2003 bis 2008 erfolgte ein Stellenabbau von 416 Stellen, das sind 10 Prozent.

 

Meinungsumfrage

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Aussergewöhnlich starke Mobilisierung und Zustimmung zur Initiative [gegen die Masseneinwanderung] durch weniger privilegierte Stimmbürger» (vom Bund finanzierte Vox-Meinungsumfrage vom 26.2.2014).

Die Tatsachen:

Absolventen der höheren Berufsbildung stimmten der Initiative mit 63 Prozent überdeutlich zu.

 

Strassengüterverkehr / Gütermenge

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

«Ab 2005 ist ein kontinuierlicher Rückgang des alpenquerenden Strassengüterverkehrs zu erwarten» (Abstimmungsbotschaft zum 21. Mai 2000).

Die Tatsachen:

In der Zeitspanne von 2000 bis 2012 hat die auf den Strassen transportierte Gütermenge durch die Schweizer Alpen um satte 54 Prozent zugenommen.

 

Wachstum / Pro-Kopf-Einkommen

So wurde die Öffentlichkeit informiert:

„Die Schweiz überragt mit diesem Wachstum andere Volkswirtschaften bei weitem, ein wichtiger Treiber ist die Zuwanderung» (10vor10).

Die Tatsachen:

Die Freizügigkeit wurde erst 2007 voll eingeführt; bis 2007 galten Kontingente. Tatsache ist, dass die Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens von 4500 Euro praktisch ausschliesslich zwischen 2002 und 2007 stattgefunden hat. Von 2007 bis 2012, also mit der vollen Freizügigkeit, hat das Pro-Kopf-Einkommen hingegen stagniert. Die Steigerung des BIP verdankt die Schweiz unter anderem dem Umstand, dass seit 2012 – im Einklang mit EU-Ländern – Schätzungen über Prostitution und Drogenhandel Bestandteil der volkswirtschaftlichen Buchhaltung sind.

 

Weitere Kurzkommentare zu Stichworten aus der EU-Debatte finden sich im sog. «Lügenpapier» des Komitees gegen den schleichenden EU-Beitritt, erschienen unter dem Titel «Bundesberns Lügen und Märchen» am 2. Juni 2015. Sie können eingesehen werden auf: www.eu-no.ch. Dort finden sich zu den im heutigen Bulletin aufgeführten Stichworten und Kommentaren auch die genauen Quellenangaben.

 

us

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