«Bruegel» – Neues Zauberwort in Brüssel

In den Medien erfährt gegenwärtig eine von EU-Exponenten verfasste Studie hohes Lob. Denn diese neue Studie schlägt die Teilnahme auch von solchen Staaten am EU-Binnenmarkt vor, welche die Personenfreizügigkeit nicht zu akzeptieren bereit sind.

EU-NO Newsletter vom 15.09.2016

Eine fünfköpfige Autorengruppe um Guntram Wolff, Direktor der Brüsseler Denkfabrik «Bruegel», hat Ende August den EU-Gremien einen Vorschlag für eine neue Körperschaft namens «Kontinentale Partnerschaft» (CP) – als neues Organ innerhalb der EU – vorgelegt.

Das Hauptanliegen

Die NZZ (29. August 2016) charakterisiert dieses «Bruegel-Konzept» mit folgenden Worten:

«Kurz zusammengefasst sähe die ‘Kontinentale Partnerschaft’ wie folgt aus: Die im äusseren Kreis angebundenen Länder würden an drei Elementen des EU-Binnenmarkts, dem freien Waren-, dem freien Dienstleistungs- und dem freien Kapitalverkehr, teilnehmen. Ausgenommen wären sie vom vierten Element, der Personenfreizügigkeit.»

Die Studie wird in den Medien bereits wortreich gefeiert als eine Art Durchbruch zu neuer Einheit der EU – die Gräben, welche gegensätzliche Haltungen zur Personenfreizügigkeit aufgerissen hatten, im Handumdrehen zuschüttend.

Selbstverständlich kann als Fortschritt gewertet werden, dass offenbar nicht mehr sämtliche EU-Funktionäre der EU, stur und unverrückbar am Konzept Personenfreizügigkeit festhalten, seit der Unmut in verschiedenen EU-Mitgliedländern ob den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit offensichtlich massiv zunimmt und eine ganze Reihe von Regierungen selbst wichtiger Mitgliedländer in arge Bedrängnis bringt. Verantwortungslos wäre es aber, ob solcher Fortschrittszeichen die sorgfältige Analyse aller Details des Buegel-Vorschlags zu vernachlässigen.

Hoher Preis

Jene Länder, die fortan nur noch Mitglieder dieser «Kontinentalen Partnerschaft» (CP) bleiben möchten, aber auch die Bereitschaft bisheriger Nichtmitglieder zu einer CP-Mitgliedschaft haben für ihre Entlassung aus dem Korsett der Personenfreizügigkeit nämlich einen keineswegs unerheblichen Preis zu bezahlen.

Die NZZ umschreibt diesen von den Nur-CP-Mitgliedern zu bezahlenden Preis im erwähnten Artikel wie folgt:

«Zwingend wären Beiträge dieser Staaten in den EU-Haushalt, unter anderem, um die Kohäsionspolitik mitzufinanzieren, die schwächeren Ländern die Aufholjagd im Binnenmarkt erleichtern soll. Angepeilt würde zudem eine enge Kooperation in weiteren Bereichen wie Aussenpolitik, Sicherheit und eventuell Verteidigung.»

Und weiter:

«Die Staaten im äusseren Kreis müssten das EU-Binnenmarkt-Recht (ausgenommen Freizügigkeit) übernehmen. Im Gegenzug würde ihnen ein Konsultationsrecht gewährt: Vor der formellen Verabschiedung neuer Binnenmarktregeln durch den Ministerrat (Gremium der EU-Staaten) und das EU-Parlament würden diese in einem CP-Rat besprochen, in dem alle beteiligten Staaten vertreten wären. Die EU-Mitglieder würden sich politisch verpflichten, die dort vertretenen Meinungen zu berücksichtigen. Im Falle eines Dissenses aber hätte die EU das letzte Wort.

Überwachen würde die Einhaltung der Binnenmarktregeln durch teilnehmende Drittstaaten laut Wolff wohl die EU-Kommission, doch diskutiert das Papier solche Fragen noch nicht im Detail. Im Streitfall könnten sich die Autoren die Anrufung des EU-Gerichtshofs in einer erweiterten Zusammensetzung – einschliesslich Richtern aus den Drittstaaten – vorstellen.»

Ähnlich dem «Rahmenvertrag»

Bedingungen und Bestimmungen, die Schweizer Lesern nicht völlig fremd erscheinen dürften: Die EU will den CP-Staaten weitgehend die gleichen Bedingungen auferlegen, welche die EU der Schweiz im seit über zwei Jahren in Verhandlung stehenden EU-Rahmenvertrag zumutet.

Die EU gewährt den Staaten, die das ausdrücklich wünschen, zwar ein Abseitsstehen bezüglich Personenfreizügigkeit. Anderseits verlangt sie von den dieses Angebot nutzenden Staaten aber nichts weniger als die «institutionelle Anbindung» an den Mechanismus des Gesetzgebungsprozesses, wie er in der EU gilt. Von der Personenfreizügigkeit befreite CP-Mitglieder unterstünden bezüglich aller übrigen Unionsvereinbarungen einer Art Zwangsmitgliedschaft. Echte Mitbestimmung, echtes Mitentscheiden wäre ihnen verwehrt. Beitragspflichtig sind sie aber genau gleich wie EU-Vollmitglieder

Wer dieses Bruegel-Angebot ernsthaft prüft, wird rasch zum Schluss kommen: Es muss, bis es akzeptabel wird, in seiner Substanz noch gründlich verbessert werden. So wie es sich jetzt darbietet, schliesst es Staaten der Kontinentalen Partnerschaft, die also bezüglich Personenfreizügigkeit aus der EU ausscheren, von der demokratischen Mitwirkung in der EU aus: Sie würden zu zahlenden Mitgliedern ohne Stimmrecht – also zu Untertanen.

pr/us

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