Nach dem Referendum in Griechenland

Was sich zwischen Griechenland und der EU-Zentrale abspielt, kann sowohl als Tragödie als auch als Komödie gesehen werden. Es ist offenbar eine Tragikomödie.

Von Christoph Blocher

EU-NO Newsletter vom 9. Juli 2015

Griechenland ist ein kleines Land; es trägt lediglich rund eineinhalb Prozent an die gesamte Wirtschaftsleistung der EU bei. Aber dieses kleine Land ist hoffnungslos überschuldet und längst zahlungsunfähig.

Griechenland ist pleite

Aus solcher Lage müsste von Rechts wegen der Konkurs resultieren. Würde dieser formell erklärt, verlören die Gläubiger Griechenlands zweifellos sehr viel Geld. Griechenland erhielte aber die Chance eines Neuanfangs.

Griechenland hat von Geldgebern – deutschen und französischen Banken, dem IWF und vor allem von der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rahmen von Rettungsprogrammen einen insgesamt sehr hohen, dreistelligen Milliardenbetrag erhalten. Trotzdem konnte der Konkurs nicht abgewendet werden. Daraus wird klar: Vor allem auch diese Geldgeber sind schuld an der misslichen Lage Griechenlands. Durch ihre «Rettungszahlungen» in Milliardenhöhe haben sie rechtzeitiges Handeln zur Abwendung des Konkurses in Griechenland verhindert.

Auch die Schweiz ist betroffen

Als Garantieleisterin gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist auch die Schweiz vom Konkurs Griechenlands betroffen. Der IWF erhielt von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hohe Garantien – insgesamt rund fünfzehn Milliarden Franken. Für diese Garantien musste die Eidgenossenschaft bürgen. Im Ernstfall wird bekanntlich der Bürge, nicht der Garantieleister zu Zahlungen verpflichtet.

Insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) hat Griechenland riesige Summen vermittelt. Die Europäische Zentralbank wird getragen von den Zentralbanken der EU-Staaten. Diese haben der EZB gegenüber die Funktion von Bürgen – auch für die Hilfeleistungen an Griechenland. Damit ist jedes EU-Land vom faktischen Bankrott Griechenlands massiv betroffen.

Die Ohnmacht der EU

Wird die Lage nüchtern beurteilt, dann drängt sich folgende Schlussfolgerung auf: Man müsste Griechenland heute fallen lassen. Dies würde den Gläubigern der Griechen zwar bedeutende Verluste bescheren. Doch diese Verluste sind bis heute wenigstens noch überblickbar.

Diese richtige Konsequenz aus unvoreingenommener Lagebeurteilung kann die EU aber offensichtlich nicht ziehen. Damit zeigt sich das wahre Problem: Das «Problem Griechenland» ist ein «Problem EU». Brüssel wird von der Furcht gelähmt, dass der Fall Griechenlands auch andere EU-Staaten, insbesondere Italien und Frankreich zu Fall bringen würde. Träte solcher Zerfallsprozess ein, dann fiele – das weiss auch Brüssel – die EU insgesamt auseinander.

Griechenland erweist sich damit zwar nicht als «to big to fail» für Brüssel, wohl aber als «to important to fail»: Deshalb zappelt Brüssel faktisch an den Fäden, welche die kommunistische Regierung Griechenlands zieht. Diese kann mit der in ihrer Ohnmacht gefangenen EU immer neue Spiele inszenieren.

Nach der Ankündigung des Referendums durch Alexis Tsipras konterte die EU mit der geradezu lächerlichen Aussage: Man werde mit Griechenland bis zum Ausgang des Referendums nicht mehr verhandeln. Angesichts derart hilfloser Erklärung wusste Griechenlands Regierung von Anfang an: Die EU wird schliesslich bezahlen.

Die EU zappelt im Netz der Griechen. Wenn ein Schuldner vom Gläubiger nicht fallengelassen werden kann, dann kann der Schuldner mit dem Gläubiger nahezu nach Belieben umspringen. In dieser Situation befindet sich die EU gegenüber Griechenland – infolge der deutlichen Ablehnung des EU-Auflagenpakets durch die Griechen im Referendum erst recht.

Die EU ist eine intellektuelle Fehlkonstruktion

Politisch entlarvt die griechische Krise die Europäische Union auf geradezu brutale Weise als Fehlkonstruktion. Mit dem Euro wollte Brüssel eine gleiche Währung durchsetzen für unterschiedlich leistungsfähige und unterschiedlich leistungsbereite Länder. Dies im intellektuellen Glauben, die von oben diktierte gemeinsame Währung werde alle daran angeschlossenen Länder zu gleicher Leistungsfähigkeit disziplinieren. Diese Beurteilung war weltfremd. Sie endet jetzt in der Katastrophe.

Solange der Euro in seiner heutigen Stärke verharrt, ist Griechenland mit seiner Volkswirtschaft schlicht und einfach chancenlos. Für Deutschland ist der Euro indessen zu schwach; es kann zwar laufend Exportweltmeister werden, muss aber die Erträge aus diesem Erfolg laufend zur Deckung von Schuldenlöchern in anderen EU-Ländern aufwenden.

Der Euro dokumentiert die Schwäche jeder «politischen Währung». Er hätte die Unterschiede zwischen den EU-Ländern einebnen sollen. Dies ist nicht geschehen. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Gräben zwischen Nord und Süd in der EU werden tiefer. Die EU erweist sich immer deutlicher als Fehlkonstruktion – als Fehlkonstruktion mit einer Marktwirtschafts-untauglichen Einheitswährung.

EU-Versagen auch gegenüber illegaler Masseneinwanderung

Bedrohlich für ganz Europa – auch für die Schweiz – ist, dass die EU gleiche Unfähigkeit, Probleme sachgerecht anzugehen und zu lösen, auch bezüglich Masseneinwanderung via Mittelmeer an den Tag legt. Bekanntlich existieren in der EU zu diesem Problemkreis Verträge: Der Schengen-Vertrag zur Sicherung der Aussengrenzen und der Dublin-Vertrag zur EU-weiten Regelung des Asylrechts. Diese beiden Verträge sind Grundlage der Personenfreizügigkeit.

Aber beide (bzw. alle drei) Verträge erweisen sich im jetzt eingetretenen Ernstfall als wirkungslose Schreibtisch-Konstrukte. Die kürzlich getroffene «Übereinkunft», die aus Afrika in Massen nach Europa strebenden illegalen Einwanderer anteilsmässig auf die EU-Länder zu verteilen, ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass die Verträge von Schengen und Dublin wirklichkeitsuntauglich, also toter Buchstabe sind. Dass die Kontingentszuteilungs-Lösung dann auch noch als «freiwillig» bezeichnet werden musste, zeigt die offenkundige Hilflosigkeit Brüssels der illegalen Masseneinwanderung gegenüber in geradezu dramatischer Deutlichkeit.

Schweiz: Unabhängig bleiben!

Für die Schweiz heisst das: Ein EU-Beitritt kommt auch heute in keiner Art und Weise in Frage – weder als direkter Beitritt noch als auf Schleichwegen herbeigeführter indirekter Beitritt.

Die Schweiz steht vor der Alternative: Entweder verfolgt sie eigenständig ihren auf Selbstbestimmung beruhenden, unserem Land massgeschneiderte Lösungen eröffnenden Weg weiter – wobei Probleme mit anderen Staaten auf der Grundlage von bilateralen Verträgen, welche die Souveränität der Vertragspartner in keiner Art und Weise antasten, bewältigt werden. Oder sie lässt sich in den EU-Apparat «institutionell einbinden» – wobei diese «institutionelle Einbindung» in Wahrheit bedingungslose Unterwerfung unter die Regeln der EU bedeutet; die Schweiz hätte deren Beschlüsse automatisch zu übernehmen. Und sie müsste sich deren Gerichtshoheit unterordnen.

Die von Brüssel herbeigeführte Krise der EU zeigt, in welche Sackgasse sich die Schweiz begeben würde, wenn sie die von Brüssel geforderte «institutionelle Einbindung» in den EU-Apparat akzeptieren würde.

 

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