Der EU-Rahmenvertrag: Behauptungen und Fakten (11)

Ginge es nach dem Bundesrat, so stünden die Verhandlungen mit der EU über jenen Rahmenvertrag, der die «institutionelle Anbindung» der Schweiz an den EU-Apparat besiegeln sollte, seit nicht weniger als fünf Jahren «unmittelbar vor dem Abschluss». Wie aber steht es in Wirklichkeit?

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Am 6. Dezember 1992 lehnten Volk und Stände den EWR-Beitritt ab. Mehrheiten in Bundesrat und Parlament haben diesen Entscheid indessen bis heute nicht akzeptiert.

Diese Mehrheiten versuchen seither, den Weg in die EU auf Umwegen oder durch «kalte Verfassungsänderung» mittels tendenziöser Neuinterpretation einzelner Verfassungsartikel «durch die Hintertür» zu finden.

Das Ansinnen der EU

In einem formellen Brief forderte der damalige Präsident der EU-Kommission, Juan Manuel Barroso, am 21. Dezember 2012 die «institutionelle Anbindung» der Schweiz an den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union.

Der Bundesrat schlug wenig später, dem Ansinnen Barrosos nachkommend, einen Rahmenvertrag zum Vollzug der institutionellen Anbindung vor.

In einem Vorvertrag («Non-Paper») einigten sich beide Seiten am 13. Mai 2013 darauf, dass die Schweiz im Rahmenvertrag die automatische Übernahme von als «binnenmarktrelevant» erklärten EU-Beschlüssen akzeptiert, die Oberhoheit des EU-Gerichtshofs bei Meinungsverschiedenheiten anerkennt und der EU ein Sanktionsrecht einräumt, wenn ein Entscheid des EU-Gerichtshofs nicht übernommen werden kann.

Mit diesen einseitigen Zugeständnissen erhält der geplante Rahmenvertrag den Charakter eines Unterwerfungsvertrags.

Widerstand verursacht Verzögerung

Hatte der Bundesrat zunächst rasche Aushandlung des Rahmenvertrags im Sinn, erkannte er aufgrund zunehmenden Widerstands in der Öffentlichkeit die Chancenlosigkeit seines Vorgehens im Blick auf eine nicht zu umgehende Volksabstimmung.

Die Landesregierung wartet seit 2014 auf eine «gute Gelegenheit» für überfallartige Beschlussfassung zum Rahmenvertrag – oder aber auf Vorschläge und Ideen zur Umgehung einer Volksabstimmung.

Die EU will der Schweiz, solange sie den Rahmenvertrag nicht verabschiedet, keine neuen bilateralen Verträge zugestehen. Eine Ankündigung, die sie allerdings selber nicht konsequent verfolgt (das Abkommen über den Automatischen Informationsaustausch wurde trotz der EU-Absichtserklärung unter EU-Druck vereinbart).

Ausreden

Bundesbern behauptete mit dem Rahmenvertrag im Visier anfänglich, die Vereinbarung eines Stromabkommens mit der EU sei dringlich, erfordere aber vorgängig die Verabschiedung des Rahmenvertrags. Da dieses Manöver mit behauptetem Sachzwang keinerlei Wirkung zeitigte, liess es der Bundesrat wieder fallen. Neuerdings plädiert Bundesrat Ignazio Cassis allerdings dafür, eine solche «Paketlösung» wieder ins Auge zu fassen.

In der Schweiz hat bisher auch der Versuch nicht verfangen, ein Bedürfnis für ein drittes Paket bilateraler Verträge herbeizureden, das den vorherigen Abschluss des Rahmenvertrags bedinge. Wichtige, unbedingt nach vertraglicher Regelung rufende Probleme stehen derzeit zwischen der Schweiz und der EU nicht an.

Die EU übt indessen unvermindert Druck aus auf raschen Abschluss des Rahmenvertrags. Sie will – wie dem via Brexit-Verhandlungen bekannt gewordenem EU-Papier «Option Schweiz» zu entnehmen ist – die Unterstellung der Schweiz unter die Hoheit des EU-Gerichtshofs unbedingt durchsetzen, was das Ende der Selbstbestimmung der Schweiz, das Ende der direkten Demokratie bedeuten würde.

Tatbestand

«Hektisches An-Ort-Treten» kennzeichnet die derzeitige Haltung des Bundesrats. Er verschliesst dabei die Augen vor der wohl unumstösslichen Tatsache, dass die EU im Vorfeld der definitiven Brexit-Entscheidung der Schweiz in keinem einzigen Punkt entgegenkommen kann, weil dies die EU-Position in den Verhandlungen mit England beeinträchtigen könnte.

Blind für diese Tatsache drängt der Bundesrat auf raschen Abschluss, womit er sich selbst unter Zugzwang setzt und zuletzt mit Sicherheit weitere, einschneidende Konzessionen eingehen wird. Verhandlungsfähigkeit im Interesse der Schweiz vermag Bundesbern offensichtlich nicht zu entwickeln.

EU-No

Thomas Hürlimann, Schriftsteller:

«Eine bessere Organisationsform als die Nation hat die Menschheit bisher noch nicht entwickelt.»
(NZZ am Sonntag, 22. April 2017)

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