Worum geht es?

Die von Differenzen zwischen Bundesräten belastete Diskussion um den sog. «Rahmenvertrag» zwischen der Schweiz und der EU spitzt sich seit einigen Wochen sichtlich zu.

EU-NO Newsletter vom 01.09.2016

Auf dass die teilweise verwirrenden Vorgänge zwischen Brüssel, Bundesrat, Parlament und Öffentlichkeit durchschaubar werden, seien die Tatsachen zu diesem zwischen Brüssel und Bern geplanten Rahmenvertrag kurz in Erinnerung gerufen.

Ausgangslage

Brüssel verlangt von Bern seit Ende 2012 die «institutionelle Einbindung» in die Strukturen der EU. Der Bundesrat zeigte sich willig, diese Forderung zu erfüllen. Die «institutionelle Einbindung» soll nach Meinung der Landesregierung

mit einem Rahmenvertrag besiegelt werden mit Bestimmungen zum Verhältnis Schweiz-EU, die für alle bilateralen Verträge und Vereinbarungen übergeordnet verbindlich sein sollen. In Vorverhandlungen, die in ein von den Spitzendiplomaten beider Seiten unterzeichnetes sog. «Non-Paper» mündeten, wurden am 13. Mai 2013 die Eckpfeiler des Rahmenvertrags festgeschrieben:

Erstens habe die Schweiz alle früheren und künftigen Beschlüsse und Gesetze der EU zu Sachbereichen, die in bilateralen Vereinbarungen geregelt werden, automatisch zu übernehmen. Weil derart vorgesehener Automatismus die Öffentlichkeit eher beunruhigt hat, spricht der Bundesrat heute nur noch von «dynamischer Anwendung» von EU-Recht – was in der Sache aber gleichbedeutend ist wie die automatische Übernahme.

Zweitens will der Bundesrat den EU-Gerichtshof (EuGH) als höchste, von der Schweiz nicht mehr anfechtbare Instanz anerkennen, so dass dieser EuGH endgültig über Meinungsverschiedenheiten zur Auslegung bilateraler Vereinbarungen oder Verträge entscheiden kann.

Und drittens akzeptiert der Bundesrat ein allein der EU zustehendes Recht, gegen die Schweiz Sanktionen – heute verwendet Bundesbern dazu freilich lieber den beschönigenden Ausdruck «angemessene Ausgleichsmassnahmen» – zu ergreifen, wenn unser Land eine Entscheidung des EU-Gerichtshofs einmal – z.B. wegen eines anderslautenden Volksentscheids in der Schweiz – nicht übernehmen kann.

Verhandlungsmandate

Der Bundesrat hat diese drei Elemente des Non-Papers Ende 2013 zu seinem Verhandlungsmandat erhoben, also zu seiner Richtschnur in den geplanten formellen Verhandlungen mit Brüssel über den Rahmenvertrag. Die EU hat ihr

Verhandlungsmandat ein halbes Jahr später bekanntgegeben. Es reichert die drei im Non-Paper aufgeführten Eckpfeiler um zwei weitere Forderungen an:

Brüssel verlangt zusätzlich die Umwandlung von bisher von Fall zu Fall von der Schweiz geleisteten Kohäsionszahlungen, welche anlässlich von EU-Osterweiterungen von Brüssel jeweilen anbegehrt worden sind. Statt einzeln beschlossener Kohäsionsbeiträge soll die Schweiz künftig Jahresbeiträge an die EU leisten – gleich wie die EU-Mitglieder. Damit will die EU nicht zuletzt das für Einzelverträge mögliche Staatsvertragsreferendum ausschalten.

Ausserdem verlangt die EU die Errichtung eines Überwachungsorgans, das – personell zusammengesetzt durch Brüssel – darüber zu wachen habe, ob die Schweiz alle von ihr gegenüber Brüssel eingegangenen Verpflichtungen auch buchstabengetreu erfülle.

Unterwerfungsvertrag

Brüssel will die Schweiz auf diese Weise zu einem tributpflichtigen und bevogteten Untertanengebiet erklären. Der Rahmenvertrag erhält damit den Charakter eines Unterwerfungsvertrags.

Wie die Vorlage, mit welcher der Bundesrat dem Parlament sowie Volk und Ständen den Rahmenvertrag einmal zur Abstimmung präsentieren will, schlussendlich betitelt sein wird, ist noch nicht bekannt. Zu erwarten ist eine Vorlage, die von «Erneuerung», von «Renaissance» oder von «Bestärkung» des bilateralen Weges sprechen wird.

Tatsache ist immerhin, dass der Bundesrat den Schweizer Standpunkt – etwa in der Einwanderungsfrage – in Brüssel bestenfalls halbherzig vertritt. Nicht selten hat man den Eindruck, der Bundesrat schäme sich seines Souveräns: Keine Spur von selbstbewusster Vertretung schweizerischer, in Volksabstimmungen erhärteter Standpunkte.

Derweil mehren sich in der EU Zerfallserscheinungen: Überschuldungskrise und Euro-Krise bleiben ungelöst.

Die Gegensätze in der Einwanderungspolitik rissen tiefe Gräben auf zwischen verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Schengen/Dublin ist zusammengebrochen. Mit Ausnahme von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga unterstützt niemand mehr in Europa die «Willkommenskultur» der deutschen Bundeskanzlerin. Und in England wurde der «Brexit» Tatsache.

Trotz dieser offenkundigen, Europa insgesamt massiv gefährdenden Schwächen der EU kann sich der Bundesrat nicht zu kraftvoller Vertretung schweizerischer Interessen durchringen.

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