Rahmenvertrag unter Dach?

Die Verhandlungen über den sog. «Rahmenvertrag» zwischen der Schweiz und der EU seien «praktisch abgeschlossen», behauptet Bundesrat Burkhalter. Andere Bundesräte widersprechen. Von Seiten Wirtschaft, FDP und CVP erfährt er scharfe Kritik.

EU-NO Newsletter vom 12.05.2016

Im Dezember 2012 liess Brüssel die Schweiz mit offizieller Note wissen, die EU sei zu weiteren bilateralen Verträgen nicht mehr bereit, solange sich unser Land der sog. «institutionellen Einbindung» in die Strukturen der EU widersetze.

Der Bundesrat zeigte sich ohne Verzug willfährig: Man wolle – teilte er Brüssel mit – der geforderten «institutionellen Einbindung» nachkommen mittels eines sämtliche bisherigen und künftigen bilateralen Vereinbarungen überdachenden «Rahmenvertrags».

Was ist «institutionelle Einbindung»?

Sofort begannen Vorverhandlungen. Diese wurden bereits im Mai 2013 abgeschlossen. In einem als «Non Paper» etikettierten Dokument unterzeichneten die Spitzendiplomaten Berns und Brüssels im Auftrag ihrer Regierungen eine genaue Definition, was unter «institutioneller Einbindung» zu verstehen sei:

Bundesbern erklärte sich bereit, sämtliche EU-Beschlüsse und EU-Gesetze zu Sachverhalten, die in bestehenden und künftigen bilateralen Vereinbarungen geregelt sind bzw. werden, fortan automatisch – ohne eigene Beratung, ohne Beschlussfassung in der Schweiz – von Brüssel zu übernehmen.

Ergäben sich – dies der zweite Grundsatz im «Non Paper» – zur Auslegung bilateraler Vereinbarungen Meinungsverschiedenheiten zwischen Brüssel und Bern, würde der Sachverhalt dem EU-Gerichtshof – also dem höchsten Gericht der Gegenseite – vorgelegt, dessen Entscheid endgültig und für die Schweiz unanfechtbar sei.

Wäre solcher Entscheid – weil zum Beispiel eine Volksabstimmung in der Schweiz anderes festlegen würde – hierzulande nicht umsetzbar, hätte Brüssel das Recht, «angemessene Sanktionen» gegen die Schweiz zu erlassen. So lautet der dritte Grundsatz im «Non Paper».

Der Bundesrat erklärte sich, indem er diese drei Konzessionen gegenüber Brüssel einging, also damit einverstanden, dass fortan fremde Richter fremdes Recht für die Schweiz verbindlich erlassen können.

Verschleppte Verhandlungen

Die formellen Verhandlungen zur «institutionellen Einbindung» der Schweiz in die EU-Beschlussfassungs-Abläufe begannen Mitte 2014. Ereignisse auf beiden Seiten verursachten immer wieder Unterbrüche.

Jetzt, zwei Jahre nach Verhandlungsbeginn, lässt Bundesrat Burkhalter verlauten: Der Vertrag sei unterschriftsreif. Andere Departemente äussern zwar Zweifel, aber gemäss Burkhalter könne der Rahmenvertrag mit der EU vom Bundesrat unmittelbar nach der Brexit-Abstimmung in England unterzeichnet werden.

Renaissance der Bilateralen?

Verkaufen will der Bundesrat der Öffentlichkeit diesen Rahmenvertrag offensichtlich unter dem Label «Erneuerung des Bilateralen Wegs». Er klammert sich dabei allerdings ausschliesslich ans Schlagwort «Bilaterale». Die unverzichtbaren Elemente bilateralen Verhandelns lässt er wohlweislich unerwähnt – weil er in Wahrheit etwas ganz anderes anstrebt.

Bilaterale Verhandlungen finden statt zwischen geleichberechtigten, souveränen Staaten bzw. staatlichen Gebilden – der EU gehören ja 28 Staaten an. Die beiden Verhandlungspartner begegnen sich auf gleicher Augenhöhe. Sie sind – völlig ungeachtet der Grösse ihrer Länder – ebenbürtige Partner.

Unterwerfungsvertrag

Der Rahmenvertrag nimmt allerdings deutlich Abstand von der Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit zwischen der Schweiz und der EU: Allein die Schweiz muss die «institutionelle Einbindung» vollziehen. Allein die Schweiz muss sich fortan gefallen lassen, dass fremde Richter fremdes Recht über sie verbindlich erlassen.

Das hat nichts mehr mit «bilateraler Gleichberechtigung» zu tun. Die EU befiehlt – die Schweiz hat sich zu unterwerfen. Die Schweiz ist nicht mehr bilaterale, gleichberechtigte Verhandlungspartnerin. Die Schweiz wird zur Befehlsempfängerin. Und wenn sie Wünsche hat, kann sie ihre Anliegen nicht mehr als gleichberechtigte Verhandlungspartnerin präsentieren. Sie ist nur noch Bittstellerin. So, als wäre unser Land eine Kolonie Brüssels.

Lässt sich die Schweiz mittels Rahmenvertrag von einer bilateralen Verhandlungspartnerin zu einer blossen Bittstellerin degradieren, dann wird «Problemlösung» selbstverständlich einfach. Zum Beispiel in Zusammenhang mit der Einwanderung: Da ein bilateraler Vertrag über die Personenfreizügigkeit existiert, würde fortan sämtliche Gesetzgebung zur Einwanderung nach Brüssel transferiert. Brüssel allein würde bestimmen – die Schweiz hätte Brüsseler Entscheide automatisch zu übernehmen. So schreibt es der Rahmenvertrag fest. Auf der Strecke bliebe die direkte Demokratie. Der Schweizer Souverän würde – auch schon zur Umsetzung der von Volk und Ständen im Februar 2014 gutgeheissenen Initiative gegen die Masseneinwanderung – ausgeschaltet, zum Verstummen gebracht.

Der Rahmenvertrag bedeutet das Ende des bilateralen Wegs. Die Schweiz wäre nicht mehr Verhandlungspartnerin, sie wäre den Brüsseler Entscheiden Unterworfene. An der nach dem Zusammenbruch von Schengen/Dublin sich über Europa ergiessenden Völkerwanderung würde sie zu spüren bekommen, dass der bilaterale Weg zu Ende wäre, indem bisherige Schweizer Selbstbestimmung per Rahmenvertrag der «institutionellen Einbindung» in die EU geopfert wäre.

Der Bundesrat strebt mit dem Rahmenvertrag für unser Land ein derart schlechtes Verhandlungsergebnis an, dass hierzulande resigniert zur Kenntnis genommen würde, dass Vollmitgliedschaft in die EU immer noch besser wäre als blosses Ausgeliefert-Sein an Brüssel.

Der Rahmenvertrag würde solche Auslieferung an Brüssel bewirken. Nichts mehr von bilateralem Weg! Der Bundesrat hätte die Schweiz vielmehr in den Schnellzug «ohne Halt bis Brüssel» gestossen.

Ulrich Schlüer

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