Neue Ideen – neue Finten

Bundesrat Ignazio Cassis, zuständig für die Verhandlungen über den der Schweiz von der EU zugemuteten Rahmenvertrag, räumt ein: Ein Verhandlungsergebnis zu diesem Abkommen ist in absehbarer Zeit nicht zu erreichen.

>> EU-NO Newsletter vom 13. September 2018 im PDF-Dokument herunterladen

Gleichzeitig mit diesem Eingeständnis präsentiert er eine neue Idee: Er wolle der EU – mit dazu erhofftem Segen des Bundesrats selbstverständlich – vorschlagen, den Rahmenvertrag zu stückeln. Vorerst solle nur jener Teil formell verabschiedet werden, der die Konfliktbereinigung per Schiedsgericht vorsehe. Denn diese «Schiedsgerichts-Lösung» – behauptet Cassis zweckoptimistisch – sei in der Schweiz «unbestritten».

«Option Schweiz»

Zwar nicht der Bundesrat, wohl aber das EU-No-Bulletin hat in den letzten Monaten mehrfach darauf hingewiesen, dass in der EU ein Papier mit dem Titel «Option Schweiz» kursiert. Es spielt – so wurde es überhaupt entdeckt – eine nicht unwesentliche Rolle in den Brexit-Verhandlungen. BBC-London gelangte in den Besitz dieses Papieres aus den Händen des EU-Chefunterhändlers in den Brexit-Verhandlungen, Michel Barnier. BBC-London hat es in einer Sendung ausführlich vorgestellt und kommentiert.

In diesem Grundsatzpapier «Option Schweiz» hat die EU ihr gegenüber Bundesbern zu erreichendes Hauptziel in den Verhandlungen über den Rahmenvertrag festgehalten: Die EU wolle in allererster Linie erreichen, dass die Schweiz der EU-Gesetzgebung und der EU-Rechtsprechung unterstellt werde. Auf dass der EU-Gerichtshof zu allen Fragen, die Brüssel einseitig als «binnenmarktrelevant» etikettiert, also zu allen für Brüssel wichtigen Fragen, das letzte, von der Schweiz nicht mehr anfechtbare Wort, den letzten, von der Schweiz nicht mehr anfechtbaren Entscheid treffe: Einwanderungsbeschlüsse, Steuersatz-Festlegungen, Transportrechtsfragen, konjunkturpolitische Entscheide, Währungsfragen usw. würden danach abschliessend von Brüssel, nicht mehr von Bern behandelt und entschieden.

Bundesrat und Parlament, obwohl von klar brüsselfreundlichen Mehrheiten beherrscht, wagten es bisher nicht, solch schwerwiegende Entrechtung des Volkes den hiesigen Stimmbürgern vorzulegen. Monatelang suchte man nach tarnenden Auswegen.

Einschneidende Brüsseler Vorbehalte

Schliesslich wurde die Idee «Schiedsgericht» geboren. Und Brüssel signalisierte alsbald Einverständnis – allerdings mit substantiellen Einschränkungen: Die EU könne ein solches, dem EU-Gerichtshof vorgelagertes Gremium dann akzeptieren, wenn gesichert sei, dass damit niemals geltendes EU-Recht angetastet werde.

Im Klartext: Für alles, was Brüssel einseitig als «binnenmarktrelevant» etikettiert, muss sich das zu schaffende Schiedsgericht zwingend an die Vorgaben des EU-Rechts halten. Das Schiedsgericht muss zu «binnenmarktrelevanten Fragen» obligatorisch den EU-Gerichtshof konsultieren, bevor es Entscheide fällt. Und die Vorgaben, die der in Luxemburg domizilierte EU-Gerichtshof formuliert, sind zwingend zu berücksichtigen.

Der EU-Gerichtshof hat zwei Aufträge zu erfüllen

Es darf angesichts solcher Vorbehalte aus Brüssel nie vergessen werden: Der EU-Gerichtshof hat gemäss den in der EU geltenden Festlegungen zwei Aufgaben zu erfüllen. Er ist erstens die höchste, nicht mehr anfechtbare Entscheidungsinstanz zu Rechtsstreitigkeiten innerhalb der EU. Und er hat zweitens in ganz Europa die Rechtsvereinheitlichung im Sinne Brüssels voranzutreiben und herbeizuführen – als oberste, nicht anfechtbare Instanz. Als solche hat der EU-Gerichtshof – zweifellos ein äusserst folgenreicher Entscheid – der EU bekanntlich den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention ausdrücklich verboten. Würde die EU dieser Instanz je beitreten, so müsste sie sich in Menschenrechtsfragen dem Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg unterstellen. Solches kommt für den EU-Gerichtshof unter keinen Umständen in Frage. Er ist und will oberste Gerichtsinstanz in Europa sein und bleiben.

Mit anderen Worten: Schweizer Recht hätte gegenüber Brüsseler Recht keine Chance! Auch nicht in einem dem EU-Gerichtshof vorgelagerten Schiedsgericht.

Das letzte Wort hat Brüssel

Der Grundsatz, wonach keine Rechtsinstanz je über dem EU-Gerichtshof stehen kann, bleibt vielmehr zwingend auch für das vorgesehene Schiedsgericht. Den Entscheidungsspielraum des von Bundesrat Cassis als «unbestritten» bezeichneten Schiedsgerichts bestimmt allein und abschliessend der EU-Gerichtshof. Von unabhängiger Entscheidungsfreiheit des zu schaffenden Schiedsgerichts keine Spur! Auch mit diesem Schiedsgericht werden fremde Richter fremdes Recht über die Schweiz verfügen.

Insbesondere würde die Schweiz auch der sog. «dynamischen Rechtsentwicklung» unterworfen, wie sie in Brüssel gilt (und bezüglich Schengen-Vertrag auch der Schweiz aufgezwungen worden ist). Dynamische Rechtsentwicklung heisst: Die Obrigkeit – also die EU-Kommission – kann bestehendes Recht jederzeit nach eigenem Ermessen angeblich «neuen Entwicklungen» oder aber neuen Überzeugungen oder Kommissions-Mehrheiten anpassen: Brüssel würde befehlen, die Schweiz hätte nachzuziehen – ohne echte Rekursmöglichkeit.

Ausgeschaltet werden angesichts solch «dynamischer Rechtsentwicklung» in allererster Linie die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Und auch die Bundesversammlung, National- und Ständerat, würden in wesentlichen Sachbereichen in ihrer Entscheidungsfreiheit deutlich eingeschränkt.

Mehrere Referenden?

Nichts verlautet seitens des Departements Cassis bis heute, wie der Bundesrat einen gestückelten Rahmenvertrag dem Volk vorzulegen hätte. Kann das Volk nur zum ersten Teil das Referendum ergreifen? Oder hätte der Bundesrat wenigstens die Gnade, alle Einzelteile des gestückelten Rahmenvertrags laufend dem Referendum zu unterstellen? Opponenten hätten also ständig Unterschriftensammlungen zu organisieren. Oder findet die Landesregierung – was allein verfassungskonform wäre – zur Entscheidung, die vorgesehenen gestückelten Vertragsteile, die allesamt die Schweizerische Bundesverfassung in wesentlichen Teilen beschneiden, jeweils dem obligatorischen Referendum zu unterstellen?

Die neuen Ideen von Bundesrat Cassis erweisen sich als gespickt mit neuen Finten.

Dynamische Rechtsentwicklung in Widerspruch zur Bundesverfassung

Die Schweizerische Bundesverfassung kann in mancherlei Hinsicht als einzigartig bezeichnet werden. Auch die Tatsache, dass jederzeit relativ einfach Teilrevisionen der Bundesverfassung anbegehrt werden können, ist einzigartig: Der Bundesrat, das Parlament insgesamt, aber auch einzelne Parlamentarier, sicher auch das Volk – Einzelpersonen oder bestimmte Gruppen – können jederzeit Verfassungsartikel zur Disposition stellen – mittels Parlamentsentscheiden oder Volksinitiativen. Wer, welche Stellung im Staat er auch einnimmt, einzelne Artikel der Bundesverfassung neuen Entwicklungen anpassen oder neuen Überzeugungen unterstellen will, hat jederzeit die Möglichkeit, ein entsprechendes Änderungsverfahren einzuleiten. Revisionsmöglichkeiten, die keine andere Staatsverfassung auf der weiten Welt in ähnlicher Form anbietet.

Diese Möglichkeit relativ rasch erreichbarer Teilrevision entbindet die Schweiz davon, «dynamische Rechtsentwicklung» überhaupt vorzusehen. «Dynamische Rechtsentwicklung» geht aus von der Obrigkeit, von der Regierung. Diese masst sich die Kompetenz an, das Recht nach eigenem Ermessen angeblich neuen Gegebenheiten anzupassen, neuen Ideen zu unterwerfen – einseitig und endgültig.

Die Schweizerische Bundesverfassung ist dazu die demokratische Alternative. Sie lässt Teilrevisionen der Bundesverfassung aufgrund neuer Entwicklungen, aufgrund neuer Überzeugungen, aufgrund neuer Ideen ohne grosse Hindernisse einleiten – überlässt das letzte, entscheidende Wort über geforderte Anpassungen aber dem Souverän, Volk und Ständen.

Wer «dynamische Rechtsentwicklung» anstrebt, der schaltet den Souverän, das Volk, die Direkte Demokratie rigoros aus. «Dynamische Rechtsentwicklung», beseitigt die Demokratie. Die offene Möglichkeit zur Teilrevision der Verfassung respektiert im Gegensatz dazu die Demokratie.

Auch wenn Bundesbern sich bereit erklärt, den «halbierten Rahmenvertrag» zu schlucken, würde die Direkte Demokratie hierzulande entscheidend beschnitten, würden Volk und Stände, aber auch das Parlament nachhaltig entrechtet.

Dass Brüssel die Direkte Demokratie mit Volksentscheiden hasst wie die Pest, weiss man in Europa längst. Dass Bundesbern vor diesem Hass kapitulieren will und die Demontage der Direkten Demokratie Brüssel zuliebe hinzunehmen bereit ist: Das muss alarmieren! Erreicht würde dieses Ziel auch mit halbiertem Rahmenvertrag.

Der Schweizer Souverän ist gut beraten, auch diesem halbierten Rahmenvertrag mit grösster Skepsis zu begegnen. Mindestens so wichtig ist es aber auch, dass der Souverän am 25. November dieses Jahres mit deutlichem Ja zur Selbstbestimmungsinitiative die Direkte Demokratie, das Stimmrecht von Bürgerinnen und Bürgern in der Schweiz bestätigt und zementiert.

EU-No/us

Kommentare

  1. Wer jetzt noch nicht erwacht ist, sollte den Wecker lauter stellen! Wenn’s dann beschlossen ist, können wir kaum noch friedlich gegen eine solche Übernahme protestieren. Dann ist dann unser Gesetz das der EU! Dann werde ich dann auch nicht mehr als Gemeinde Exekutiv Politiker mitmachen, denn einem fremden Fürsten werde ich nicht dienen!

  2. Ist unsere Regierung blind? Es ist doch klar, dass das einzige Interesse darin besteht, ein Grossdeutschland ohne Krieg zu formen. Dass das EU Parlament in Brüssel steht, ist ein geschickter Schachzug. Was man aber schon lange zwischen den Zeilen lesen kann, ist ein unabdinglicher Machtanspruch der deutschen Regierung. Sollen nicht gemäss Merkel die wichtigen Posten im EU Parlament mit deutschen Personen besetzt werden? Was heisst das für normal denkende Bürger? Betrachten Sie das Ganze mal von dieser Seite. Der Rahmenvertrag „Freunschaftsvertrag“ darf nie angenommen werden.

  3. Langsam aber sicher ist es zum Kotzen! Was für eine Luseba haben wir denn in Parteien, in National- und Ständerat, und sogar im Bundesrat (oder sind’s dort eher -innen oder -ininnen?). Auf alle Fälle riecht es in BERN
    schwer nach Landesverrat (dafür stand im letzten Jahrhundert die TODESSTRAFE!!).

    Wer auch nur noch ein wenig Verstand hat, und vorallem Schweizer sein und bleiben will, der kann solchen Bocksmist nur am besten auf den Mond schiessen!!!

    1. Hr. Kalt , bin ganz ihrer Meinung. Alles was von dieser EU Diktatur kommt, muss abgelehnt werden. Brüssel will nur unser Geld! Immer mehr Länder wollen aus der EU. Die Schweiz muss Schweiz bleiben und der BR. soll endlich Rückgrad gegenüber der EU zeigen und demnach handeln.

  4. Der automatische Nachvollzug, ein absolutes No- Go!
    Wie nur können geistig einigermassen normale Politiker derart total birnenweiche Auslieferungs- Vereinbarungen wie einen automatischen Nachvollzug akzeptieren? Das haben sie schon bei Schengen getan. Wie nur kann man unsere Interessen, das gute System Schweiz derart hinterhältig verraten? Es scheint, dass eine Verschwörung gegen unser Land im Gange ist, unterstützt durch widerliche, interne Quislinge aus den bekannten Parteien!
    Partei-Vertreter, die in grenzenloser Dummheit oder zielgerichteter Unehrlichkeit „automatische Nachvollzugs- Verträge“ und „Guillotine Verträge“ derart fahrlässig unterschreiben und befürworten, sollte man bevormunden oder bestrafen. Mindestens aber bei Wahlen boykottieren! Die arbeiten gegen das Land, nicht für das Land! Für den eigenen, schnöden Profit die einen, für das sozialistische Fantasie- Paradies die anderen!
    Peter H. Kuhn, Regensdorf

  5. Sehr geehrte Damen und Herren

    Die Information in ihrem Newsletter sind extrem wichtig und nützlich. Jeder Bürger, jedes Parteimitglied von links bis rechts, und jeder Parlamentarier sollte darüber bestens im Bild sein – von den sieben Bundesräten ganz zu schweigen. Doch: warum werden diese essentiellen Infos über den Rahmenvertrag bzw. dessen fatale Folgen nicht weiter gestreut? Warum bleiben diese Informationen im Gefäss von EU-No? MfG. Andreas Stocker

    1. Vielen Dank, Herr Stocker! Damit unsere Informationen weite Verbreitung finden, sind wir auch auf die Streuwirkung angewiesen, die von den Empfängern ausgeht.

  6. Es ist schlicht unglaublich wie demokratisch gewählte Parlamentarier die Offenbar störenden Volksrechte sn den Gesselerhut von Brüssel verhökern.
    Merkt eugentlich niemand in der Schwatzbude in Bern wie weit sich die Politik schon von der Verfassung entfernt hat?

  7. :
    Und jetzt noch schnell eine halbe Million europäischer Ausländern einbürgern mit der Kondition, dass sie FÜER DEN EU BEITRITT stimmen werden. Was für ein totaler Madensack wir haben. Sogar Ueli Maurer hat mich diese Woche sehr enttäuscht.

  8. Es wird Zeit, dass sich die Schweiz auf seine Stärken besinnt und mit mehr Selbstvertrauen ihre Position der EU gegenüber klarmacht. Kapitulation ist keine Option.

    Wann merkt es der Bundesrat endlich?

    Wir brauchen Leute vom Format Christoph Blocher im Bundesrat und nicht solche Nieten wie heute.

  9. Herr Cassis zeigt sein wahres Gesicht! Er ist bereit ins EU Boot einzusteigen, er ist ein Verräter er will das Schweizervolk ( auf schweizerdeutsch zu verarschen) für das brauchen wir kein Bundesrat weder die EU noch sonst jemanden das können wir selber.

  10. Der Bundesrat, die FDP und weitere Parteien luegen auf unglaubliche Weise. Sie behaupten, dass das vorgeschobene Schiedsgericht unabhaengig sei und somit final entscheiden koennte. Dem ist nicht so, weil es dem europaeischen Gerichtshof zu 100% unterstellt ist. Es darf in keiner Weise Entscheide treffen, welche die Gerichtshof-Richtlinien nicht einhalten. Der EU-Gerichtshof wuerde bei Nichteinhaltung sofort einschreiten und das Schiedsgericht in die Schranken weisen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert