Lagebeurteilung im Herbst 2016:

Zur richtigen Einordnung der Vorgänge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ist ein kritischer Blick auf europa- und weltpolitische Entwicklungen unabdingbar.

EU-NO Newsletter vom 20.10.2016

Das Weltgeschehen steht derzeit im Spannungsfeld sich dramatisch verändernder Kräfteverhältnisse.

Weltlage

Die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und der Nato einerseits, Russland, China und Iran anderseits nehmen zu.

Die Türkei distanziert sich sichtlich von den USA, der EU und der Nato. Sie nähert sich Russland, China und dem Iran an. Die Haltung der Türkei ist von Sprunghaftigkeit geprägt und entsprechend schwierig berechenbar. Klar ist immerhin: Die Türkei ist zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor der Weltpolitik geworden. Ihr Handeln ist genau zu verfolgen.

Die USA erweisen sich zumindest bis zum Antritt der neuen Administration anfangs 2017 als nur beschränkt handlungsfähige Grossmacht.

Die politische und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit verlagert sich deutlich von Europa nach Fernost.

Im Bürgerkrieg um Syrien und Irak hat die Offensive auf Mosul begonnen. Die USA, EU und Nato sehen in dieser Aktion die Schlussoffensive. Ob sich dies bewahrheitet, ist derzeit völlig offen.

Europa

Die Europäische Union befindet sich offensichtlich in einer schweren Krise, deren Ende nicht absehbar ist.

Frankreich und Deutschland erweisen sich als destabilisiert als Folge der wesentlich islamisch geprägten Masseneinwanderung einerseits, der islamistischen Attentatswellen andererseits. Niemand weiss, welche Kräfte in diesen beiden EU-Leaderländern nur schon in zwei Jahren das politische Geschehen bestimmen.

Die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel («Wir schaffen das!») ist gescheitert.

Die EU erfährt durch den beschlossenen Brexit eine offensichtliche Destabilisierung, auch wenn Versuche, diese schönzureden, noch dominieren – gerade auch in den Medien.

Die Eurokrise und die Bankenkrise bleiben völlig ungelöst. Die Schuldenberge wachsen unvermindert weiter. Insbesondere in Italien, Spanien und Portugal sind mehrere Grossbanken offensichtlich existenzbedrohend angeschlagen. Deren Zusammenbruch hätte unabsehbare Folgen für die Stabilität ihrer Länder.

Die Spaltung zwischen den westlichen und den östlichen EU-Mitgliedstaaten verschärft sich.

Die Schweiz und die EU

Die Lage der Schweiz in Europa verschlechtert sich, weil die Nicht-Umsetzung der von Volk und Ständen zum Verfassungsauftrag erhobenen Initiative gegen die Masseneinwanderung einen sich laufend vertiefenden Graben aufgerissen hat zwischen dem Souverän – also den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern – einerseits, der Bundesberner Verwaltung, dem Bundesrat, der Parlamentsmehrheit und den tonangebenden Funktionären in den Wirtschaftsverbänden andererseits.

Der Bundesrat behauptet, seine Sondierungen hätten ergeben, dass sich Brüssel Verhandlungen über Anpassungen der Personenfreizügigkeit verschliesse. Deshalb unterblieb seitens Bern die formelle Aufforderung an Brüssel, auf der Grundlage der im Personenfreizügigkeitsvertrag ausdrücklich enthaltenen Revisionsklausel Nachverhandlungen aufzunehmen. Solche Forderung ist beiden Vertragsparteien ausdrücklich gestattet, wenn sich die Einwanderung anders entwickelt als bei Vertragsabschluss erwartet. Die Tatsache gewordene Verzehnfachung der Einwanderung in die Schweiz kann zweifellos als drastische Veränderung der Immigrationsentwicklung bezeichnet werden.

Brüssel ist offensichtlich davon überzeugt, dass Bundesbern Brüssels Interessen gegen den von der Schweizer Stimmbevölkerung zur Einwanderung ausgedrückten Willen konsequent wahrnimmt, die vom Souverän geforderte Reduktion der Einwanderung also hintertreibt.

Die Medien spielen grossmehrheitlich das Kalkül Bundesberns mit. Sie nutzen jede Gelegenheit – Brexit, Erdogans Positionsbezüge, Putins Initiativen, Drohungen über die Streichung von Forschungsunterstützung im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 –, die SVP als Partei sowie Christoph Blocher und Roger Köppel persönlich auf die Anklagebank zu setzen.

Fazit

Gegen die Gegner einer weiteren Annäherung der Schweiz an die EU werden von Bundesbern und Wirtschaftsverbänden drei Fronten errichtet.

An der ersten Front wird stur unterstellt, der Entscheid des Souveräns zur Begrenzung der Einwanderung werde der Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt mit seinen fünfhundert Millionen Konsumenten verbauen.

An der zweiten Front wird nicht minder stur behauptet, die SVP wolle mit der Selbstbestimmungs-Initiative («Schweizer Recht statt fremde Richter») die Menschenrechte gleichsam «entsorgen».

Und an der dritten Front wird behauptet, der Entscheid gegen die Masseneinwanderung versperre der Schweiz den Weg zu den Forschungsprogrammen der EU und in die «Champions League» der weltweit interessanten Spitzenforschung.

Alle diese drei Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage und könnten – würden sich die Medien bloss ernsthaft damit befassen – leicht widerlegt werden.

Freihandelsabkommen

Der Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt wird gewährleistet durch das 1972 abgeschlossene Freihandelsabkommen zwischen Bern und Brüssel. Dieses Abkommen wird von niemandem in der EU in Frage gestellt. Es untersteht nicht der sog. Guillotine-Klausel, fällt also keineswegs automatisch dahin, wenn die Schweiz aus einem Vertrag des sog. ersten Pakets der Bilateralen Verträge, beispielsweise aus der Personenfreizügigkeit aussteigen würde.

Der Freihandelsvertrag ist durch WTO-Abkommen (Diskriminierungsverbot) solide geschützt. Die Schweiz importiert weit mehr aus der EU als sie in die EU exportiert. Und Schweizer Firmen können die Güter und Dienstleistungen, die sie aus der EU beziehen, auch zuverlässig bezahlen – längst keine Selbstverständlichkeit mehr für Produzenten in der EU.

Selbstbestimmungs-Initiative

Die Selbstbestimmungs-Initiative will in der Bundesverfassung festschreiben, dass keine Instanz der Schweiz fremden, von Funktionären und Diplomaten ohne demokratische Legitimierung geschaffenen Vereinbarungen einen Vorrang gegenüber der Bundesverfassung einräumen darf. Die automatische Übernahme von EU-Recht und EU-Beschlüssen vorbei an Souverän und Parlament der Schweiz würde damit unterbunden.

Die Menschenrechte sind von dieser Initiative in keiner Weise betroffen; sie sind längst in der Bundesverfassung ausdrücklich und einzeln festgeschrieben (Art. 7 bis 36). Kein Mensch fordert deren Streichung – wozu der Schweizer Souverän auch nie und nimmer bereit wäre.

Forschung

Der sog. «Champions League» werden die zehn weltbesten Hochschulen zugeordnet. Die Schweiz figuriert mit der ETH Zürich und der ETH Lausanne gleich zweimal auf dieser Liste der zehn besten Hochschulen, das jetzt aus der EU ausscheidende England einmal. Die Universitäten aller andern EU-Länder figurieren deutlich weiter hinten auf der Rangliste der Hochschulen.

Die Schweiz wird in dieser «Champions-League» verbleiben, wenn ihre Universitäten den wissenschaftlichen Kontakt und Austausch mit den Spitzenuniversitäten weltweit, insbesondere mit jenen in den USA und in Fernost sorgfältig pflegen – keineswegs aber dank Unterwerfung unter den Bürokratie-Apparat Brüssels. Und selbst diesem EU-Apparat ist klar, dass die EU-Länder den Kontakt an die Spitzenforschung weltweit nur verlieren würden, wenn sie sich mutwillig, aus ideologischer Sturheit von den beste Forschungserfolge verzeichnenden Hochschulen in der Schweiz und in England distanzieren würden.

Der bilaterale Weg

Zum sog. bilateralen Weg besteht zwischen Bundesbern und den Gegnern jeglicher weiteren EU-Anbindung eine grundlegende Differenz: Der Bundesrat sieht im von ihm verfolgten bilateralen Weg weiterhin nur Zwischen-Etappen auf seinem Kurs zum EU-Vollbeitritt der Schweiz. Bundesbern schafft Sachzwänge, welche die Schweiz Schritt für Schritt immer enger in den EU-Apparat einbinden sollen. Zu Beginn der Neunzigerjahre, nach dem Nein zum EWR-/EU-Beitritt hat der Bundesrat den Vollbeitritt der Schweiz zur EU zu seinem «strategischen Ziel» erklärt. Diese Zielsetzung hat er seither nie widerrufen.

Die Gegner jeglicher EU-Anbindung erachten bilaterale Verträge als den vernünftig begehbaren Weg, beidseitig festgestellte Probleme einer sachgerechten Lösung entgegenzuführen, die beiden Vertragspartnern politische Unabhängigkeit und eigenständige Handlungsfreiheit belässt. Damit wird die Schritt-für-Schritt-Ankettung der Schweiz an die EU vermieden. Dieser der Schweiz selbständige Handlungsfreiheit garantierende Weg wird von der Bevölkerung breit befürwortet. Ihn dazu zu missbrauchen, die Schweiz mittels Sachzwängen gezielt immer enger an die EU zu ketten, findet im Schweizer Souverän dagegen keinerlei Akzeptanz.

 

us/pr

 

Symbolbild von Lupo / pixelio.de

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