Gelesen in der Basler Zeitung

Läsen Aussenminister Didier Burkhalter (FDP) und Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) Kapitel sieben der ETH-Studie «Sicherheit 2016» und würden sie – gestützt auf diese wissenschaftliche Erhebung – die ermittelten Stimmungen und Mehrheiten in der Bevölkerung ernst nehmen, sie müssten ihre aktuellen Pläne zur institutionellen und politischen Einbindung der Schweiz in die EU sogleich aufgeben.

EU-NO Newsletter vom 8. Juni 2016

Denn die Öffnungsbereitschaft gegenüber der EU ist im Volk so gering wie nie. Nur noch ein Randgrüppchen von 16 Prozent ist der Ansicht, «die Schweiz solle sich aktiv an der europäischen Integration beteiligen und der EU beitreten». 1999 waren es noch 57 Prozent. Weit ungünstiger für Burkhalter und Sommaruga ist indessen, wie wenige ihnen überhaupt noch folgen wollen, wenn es darum geht, die Schweiz mit dem sogenannten EU-Rahmenabkommen noch näher an die EU heranzuführen (Stichworte: «fremde Richter, automatische Übernahme von künftigem EU-Recht»). Was die Promotoren des nächsten Schweizer EU-Integrationsprojekts zumindest verunsichern müsste, ist das Nein einer satten Zweidrittelmehrheit auf die Frage, «ob sich die Schweiz der EU politisch mehr als bisher an­nähern solle».

Gerade noch 35 Prozent sagen dazu Ja. Die ETH-Wissenschaftler um Autor und Herausgeber Tibor Szvircsev Tresch haben in der jüngsten Ausgabe ihrer Langzeitstudie auffällig oft das Adjektiv «signifikant» verwendet, dann nämlich, wenn sie die statistischen Veränderungen gegenüber früheren Erhebungen der Militärakademie und des Center for Security Studies der ETH Zürich beschreiben. «Signifikant» ist die wissenschaftliche zulässige Beschreibung für den Zusammenbruch sämtlicher Supportfronten der EU-Turbos.

Entsprechend bilanzieren die Studienverfasser unter dem Titel «Öffnung versus Autonomie» in Kapitel sieben: «In der Langzeitbetrachtung zeigt sich, dass sich das Meinungsbild der Schweizer Stimmbürger zur Europapolitik stark verändert hat: In den Neunzigerjahren favorisierten zwei Drittel der Befragten eine politische Annäherung an die EU und knapp die Hälfte plädierte für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Form eines EWR-Beitritts (Europäischer Wirtschaftsraum). Ab 2003, und insbesondere seit 2006 änderte sich diese Haltung jedoch markant und der Sukkurs sowohl für eine Annäherung wie auch einen Beitritt zur EU verminderte sich signifikant.»

Wie isoliert beim Volk Bundesratsmehrheit und Verwaltung mit ihrer neuen EU-­Annäherungspolitik stehen, zeigen die nackten Zahlen. 1999 waren 70 Prozent der Überzeugung, «die Schweiz sollte sich mehr als bisher der EU politisch annähern». Zehn Jahre später, also 2009, waren es exakt 50 Prozent. Heute also 35.

Während ein EU-Vollbeitritt vom gesamten politischen Spektrum mehrheitlich abgelehnt wird, findet eine weitere politische Annäherung an die Union nur noch im linken Parteienspektrum eine Mehrheit (57 Prozent). 66 von 100 in der Mitte (unter anderen bei CVP und FDP) sowie 78 Prozent jener, die sich politisch rechts von der Mitte einstufen, wollen hiervon rein gar nichts wissen. So klar die Ablehnung eines EU-Vollbeitritts von links (67 Prozent) bis rechts (94 Prozent) heute ist, so deutlich ist die Ansicht der überwiegenden Mehrheit, die Zusammenarbeit mit der EU sei einzig und allein auf die Wirtschaft zu beschränken. 2016 (die Erhebung der ETH erfolgte im Januar) ist die Öffnungs­bereitschaft unter Stimmbürgern gegenüber der EU also so gering wie nie vorher. Auf sehr hohem Niveau verharrt demgegenüber der Wunsch nach politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit.

Trotz dieser klaren politischen Stimmungslage in der Bevölkerung ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesratsmehrheit vom Versprechen an die EU abrücken wird, man wolle der geforderten «institutionellen Einbindung» nachkommen, mit einem Rahmenvertrag, der alle bisherigen und künftige Vereinbarungen mit der EU überdacht.

von Benjamin Gafner, Basler Zeitung

benjamin.gafner@baz.ch

 

Erstabdruck in der Basler Zeitung am 28. Mai 2016, Seite 19)

Das Komitee EU-No dankt der BaZ für die Erlaubnis zum Nachdruck dieser Kolumne.

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