Wohin treibt Deutschland?

Vor überblickbarer, nach dem Referat in die Diskussion miteinbezogener Zuhörerschaft referierte der CDU-Abgeordnete Andreas Jung kürzlich zur politischen Krise in Deutschland und in der EU.

Andreas Jung gehört seit 2005 dem Deutschen Bundestag an – gewählt mit einem Direktmandat im Wahlkreis Konstanz. Er ist einflussreiches Mitglied der CDU-Fraktion: Chef der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg, der nach jener aus Nordrhein-Westfalen zweitgrössten Landesgruppe. Als solcher ist er Stellvertreter des CDU-Fraktionspräsidenten, zuständig für die Bereiche Finanzen und Haushalt. Ausserdem präsidiert er den Frankreich-Ausschuss im Deutschen Bundestag.

 

Optimismus

Andreas Jung ist zweifellos ein seriöser, an allen Fronten fleissiger, einsatzfreudiger, ernsthafter Politiker. Zur Zukunft Deutschlands, zur Zukunft der CDU, zur Zukunft der Europäischen Union äussert er sich bemerkenswert optimistisch. Die Ausmarchung zwischen Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer (von Insidern notorisch «Akaka» benamst) um das Präsidium habe Diskussionsleidenschaft in die vorübergehend lahmende CDU zurückgeholt. Damit könne man die in beträchtlicher Zahl zur Alternative für Deutschland (AfD), aber auch zu den Grünen abgewanderten Ex-CDU-Wähler mit hoher Sicherheit zurückgewinnen.

Auch in der Europäischen Union würden Aufbruchs-Symptome sichtbar: Der Abfall Englands, die Brexit-Diskussionen hätten die in der EU verbleibenden Länder einander näher gebracht. Problemlösung werde ohne England sichtlich einfacher.

Länder, wie das die EU-Bürokratie skrupellos herausfordernde, tief verschuldete Italien, wie die sich Brüssels Migrationsillusionen kategorisch verweigernden Polen und Ungarn, liess Jung freilich unerwähnt. Dass Präsident Macron sich in Frankreich grossen Problemen gegenübersieht, beeinträchtige zwar seinen Führungswillen in der EU, beseitige aber nicht die Tatsache, dass der französische Präsident erfolgversprechende Lösungswege für viele Probleme eingeschlagen habe.

In dieser Weise präsentierte Jung eine ganze Serie Zuversicht ausstrahlender Feststellungen, wobei er in der Diskussion einräumte, dass seine Lagebeurteilung teilweise auf blossen Hoffnungen beruhe. Immerhin äusserte sich der Abgeordnete Andreas Jung gezielten Publikumsfragen gegenüber konkreter als in seiner Lagebeurteilung zu Beginn seines Auftritts.

 

Exportweltmeister mit Zerfalls-Symptomen

Konfrontiert wurde der Bundestags-Abgeordnete Andreas Jung u.a. mit folgender Feststellung:

Die Medien feiern Deutschland, mit statistischem Material untermauert, Jahr für Jahr als «Exportweltmeister» – der für unseren nördlichen Nachbarn viel zu tiefe Euro-Kurs macht’s möglich. Trotz diesen beeindruckenden, sehr viel Geld nach Deutschland spülenden Erfolgen zerfallen in Deutschland für alle sichtbar die Infrastruktur-Anlagen. Deutschlands Autobahnen, einst Symbole des deutschen Wirtschaftswunders im Wiederaufbau des Landes nach den Weltkriegen, weisen in wachsendem Ausmass bedenkliche Qualität auf. Aberdutzende von Brücken sind nur noch für Einspur-Betrieb zugelassen. Deutschlands Eisenbahnen verkommen zum Verspottungs-Objekt. Nicht einmal mehr das Flugzeug der Bundeskanzlerin garantiert Einhaltung angeordneter Flüge.

Die Fülle solcher Feststellungen zermürbt ganz offensichtlich die deutsche Öffentlichkeit – Redegefechte zwischen Merz und Akaka hin oder her. Dass der statistisch nachgewiesene, seit Jahren anhaltende Exporterfolg der deutschen Wirtschaft den Infrastruktur-Zerfall nicht aufhalten kann – das ist eine wesentliche Ursache um sich greifender Zukunftsangst der deutschen Öffentlichkeit sowie der Abwendung der Wähler von der CDU.

 

«Häuslebauer»

Als weitere aktuelle Beobachtung wurde Jung folgender Standpunkt unterbreitet:

In den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren, als der Wiederaufbau Deutschlands unglaubliche, ganz Europa beeindruckende Dynamik entwickelte, wurde die Bundesrepublik europaweit als «Land der Häuslebauer» bewundert. Häuslebauer sind zwangsläuftig auch eiserne Sparer: Ohne Ersparnisse kein Eigenheim!

Heutige Sparer erleben in Deutschland trotz boomender Wirtschaft freilich anderes: Zinsnullungs-Politik und Negativzinsen schröpfen die Sparer. Das Eigenheim wird für den Mittelstand unerreichbar. Erkenntnisse, die enormen Frust hinterlassen – das Vertrauen in die Regierung und die Regierungsparteien schwindet galoppierend.

Andreas Jung räumte ein, dass die Aussagen zur Infrastruktur und zur Zinsnullungs-Politik Tatbestände ansprächen, welche die deutsche Öffentlichkeit stark belasten, ja demoralisieren würden. Die Probleme seien inzwischen freilich erkannt. Man arbeite intensiv an Verbesserungen und Lösungen.

Wie die Zinsnullungs-Politik angesichts auswegloser Überschuldung vieler, auch grosser EU-Staaten wie Italien und Frankreich, überwunden werden soll – dazu erfuhr man ausser wohlmeinenden Absichtserklärungen freilich kaum Konkretes. Deutschland wird die EU weiterhin unter sehr hoher finanzieller Belastung schlecht und recht am Leben erhalten müssen. Derweil droht der marktuntaugliche Euro die ganze EU buchstäblich zu erdrosseln.

 

Migrationskrise

Auch die Migrationspolitik wurde diskutiert. Bundestags-Abgeordneter Andreas Jung schilderte detailliert, wie Deutschland mit kleinen, aber wirksamen Schritten das Problem zunehmend in den Griff bekomme. Die Einwanderung gehe bereits zurück. Von Masseneinwanderung könne nicht mehr die Rede sein. Personenkontrollen an den Landesgrenzen wieder einzuführen – das sei freilich unmöglich. Zwischen Österreich und Deutschland, über welche Landesgrenze offenbar am meisten illegale Einwanderung stattfindet, bestünden rund sechzig Grenzübergänge. Nur gerade drei davon seien rund um die Uhr besetzt und überwacht.

Eine Feststellung, die den Einwand provozierte, dass man den äusserst zügig durchgeführten Abbau von Grenzkontrollen der Öffentlichkeit gegenüber seinerzeit gerechtfertigt habe mit den im Schengen-Vertrag festgehaltenen Massnahmen, die rigorosen Schutz der EU-Aussengrenze vor illegaler Einwanderung garantieren würden. Aus heutiger Sicht müsse man doch eingestehen, dass man mit solchen Beteuerungen die Bevölkerung schwerwiegend getäuscht habe.

Jung räumte ein, dass, wer damals an den Aussengrenzen-Schutz geglaubt habe, einer unwirklichen Illusion aufgesessen sei. Er gestand auch, dass die Kompetenz der Deutschen Regierung am kapitalen Versagen des Schengen-Systems gemessen werde. Aber Besserung sei in Arbeit. Ein nicht unwesentlicher Ausbau der Frontex-Kräfte, also des für den Schutz der Aussengrenze in kollektiver Verantwortung aller EU-Staaten vorgesehen Organs, sei in Umsetzung begriffen. Fortschritte würden allmählich sichtbar. Masseneinwanderung wie vor drei Jahren fände nicht mehr statt – auch wenn dies die Bevölkerung noch nicht in vollem Ausmass erkenne.

 

Die Krise ist keineswegs behoben

Eurokrise und Migrationskrise beuteln die Europäische Union in existenzbedrohendem Ausmass. Jung beteuert, dass die tiefen Krisen in gemeinsamer Anstrengung von Brüssel aus angegangen würden. Wie diese Anstrengungen den Zerfall der Infrastruktur in Deutschland stoppen, die Sparer nicht länger ihrer Sparerträge durch Zinsnullungs-Politik berauben werden, wurde freilich nicht sichtbar.

Der marktuntaugliche Euro, die die Grundfesten Europas untergrabende Währungsunion: Beides sind von Bürokraten in Brüssel stur durchgesetzte, vor der Wirklichkeit schwerwiegend versagende Konstrukte. Finanzielle Zerrüttung der EU-Staaten mit allen daraus resultierenden Folgen entstehen daraus. Wähler, die davon die Nase voll haben, dürften weiterhin in Scharen zu alternativen Parteien überlaufen.

Andreas Jung bestreitet die Existenz all dieser schwerwiegenden Probleme nicht; er ist sicher auch ehrlich bemüht, sich für Problemlösungen einzusetzen. Angesprochen auf den Europa sichtbar zerstörenden Zentralismus, wie er von der scheinbar unantastbaren Bürokratie in Brüssel aggressiv ausgeht, bleibt Jung – im Einklang mit anderen politischen Aushängeschildern der EU – freilich ohne Antwort.

Die Regierungsparteien, nicht nur in Deutschland, lassen sich vom Bürokratismus Brüssels als Aushängeschilder für eine Politik missbrauchen, die schlicht europa-untauglich ist. Christoph Blochers seit Jahren geäusserte Überzeugung, die EU sei «eine intellektuelle Fehlkonstruktion», findet im EU-Alltag in dramatischem, existenzbedrohendem Ausmass seine Bestätigung.

Aber niemand in der EU scheint die Kraft zu haben, den Europa ins Elend stürzenden Bürokratismus endlich zu zerschlagen – dem Überleben des europäischen Abendlandes zuliebe.

EU-No/us

 

Zusammenfassung und Kommentar im heutigen EU-No-Bulletin gehen zurück auf Ausführungen, die der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung aus Stockach (Wahlkreis Konstanz) unter dem Titel «Wohin treibt Deutschland?» im Rahmen eines Unternehmer-Gesprächs am 4. Dezember 2018 an einer Veranstaltung des Unternehmerforums Lilienberg in Ermatingen/TG geäussert hat.

 

Bulletin zum herunterladen (PDF)

 

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