Interessante Studie aus dem NZZ-Verlag

Die Befürworter eines EU-Beitritts der Schweiz begründen ihre Haltung immer mit dem Argument, die Schweiz müsse doch «Einfluss nehmen» dort, wo in Europa die politischen Weichen gestellt würden. Wie gross wäre denn der Einfluss der Schweiz, wenn sie tatsächlich als Mitglied der EU angehören würde?

EU-NO Newsletter vom 18.12.2014

Ein vor drei Jahren im Verlag NZZ erschienenes Buch mit dem Titel «Von Rosinen und anderen Spezialitäten – Die Schweiz und die EU» befasst sich ausführlich und sorgfältig dokumentiert mit allen Fragen, die sich zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU stellen können. Untersucht wird auch, welchen Einfluss die Schweiz tatsächlich ausüben könnte, wenn sie Vollmitglied der EU und damit in allen EU-Gremien ihrer Grösse entsprechend vertreten wäre.

Die Einwohnerzahl eines jeden EU-Mitgliedlandes ist ausschlaggebend für dessen Sitze in den verschiedenen Gremien der EU. Grosse Staaten sind stärker, kleinere weniger stark vertreten. Rein rechnerisch betrüge das Stimmengewicht der Schweiz in den EU-Gremien als Vollmitglied rund drei Prozent.

Der Hinweis auf das zahlenmässige Gewicht befriedigt für sich allein indessen noch nicht. Für die Schweiz von grosser Bedeutung ist auch, dass hierzulande dank direkter Demokratie das Volk als Souverän das letzte, entscheidende Wort spricht zu allen wichtigen Fragen von nationaler Bedeutung. Würden diese Fragen (Konjunkturpolitik, Ausländerpolitik, Forschungspolitik, Umweltpolitik, Sicherheitspolitik usw.) künftig vor allem in Brüssel entschieden, dann könnte die direkte Demokratie kaum aufrechterhalten werden. Die EU-Gremien würden Referenden gegen ihre Beschlüsse nie akzeptieren. Mit anderen Worten: Während der EU-Beitritt für andere Länder die Verlagerung von Entscheidungsgewalt von einer nationalen Elite nach Brüssel zur Folge hatte, müsste in der Schweiz das Volk selbst sein politisches Mitbestimmungsrecht an Brüssel abtreten.

Kein anderes Land in Europa hat ein mit der direkten Demokratie der Schweiz vergleichbares politisches System. Die direkte Demokratie interessiert Brüssel nicht. Die EU-Gremien treffen verbindliche Entscheidungen – die Mitgliedstaaten haben zu parieren. Das heisst: Die Schweiz wäre, wenn sie ihre wirklichen Interessen in Brüssel vertreten wollte, relativ oft in isolierter Position. Selbst die Zusammenarbeit mit Partnern in einer Koalition würde ihr Verzichte abverlangen, welche die direkte Demokratie entscheidend beschneiden (wenn nicht verunmöglichen) würden. Faktisch wäre das Mitbestimmungs-Gewicht der Schweiz in Brüssel deshalb noch kleiner als die errechneten drei Prozent. Die Schweiz müsste Kernelemente ihres politisches Systems, ihres politischen Selbstverständnisses und ihrer politischen Ordnung preisgeben. Die Volkssouveränität würde zumindest bezüglich nationaler Fragen der Vergangenheit angehören. Eine Einrichtung wie das Ständemehr, also der institutionalisierten Rücksichtnahme auf die Interessen kleinerer Kantone, wäre im Rahmen der Beschlussfassung der Europäischen Union undenkbar.

Das erwähnte Buch liefert zudem zahlreiche Beispiele, die belegen, dass in den für die EU wirklich entscheidenden Fragen die grossen Staaten innerhalb der EU auch die wegweisenden Bestimmungen festlegen. Zum Beispiel seien alle wesentlichen Beschlüsse zur Bewältigung der Euro-Überschuldungskrise in Tat und Wahrheit von den beiden Grossen, von Deutschland und Frankreich vorweg entschieden worden. Die offiziellen Gremien der EU hätten zumeist lediglich nachträglich abnicken können, was Deutschland und Frankreich vorgespurt hätten. Demokratische Entscheidfindung – sofern man solche der EU überhaupt zubilligen will – werde in der EU dann, wenn sie mit akuten Krisen konfrontiert sei, weitgehend übergangen.

Weiter stellen die Buchautoren fest: Je mehr Mitglieder die EU aufnimmt, desto geringer wird der Einfluss des Kleinstaates Schweiz in den EU-Gremien.

Aus diesen Einsichten leiten die Autoren ihre Schlussfolgerungen ab: Weder die direkte Demokratie noch der föderalistische Staatsaufbau mit seiner institutionalisierten Macht-Dezentralisierung wären überlebensfähig, wenn die Schweiz der EU beitreten würde. Die Schweiz hätte also Kernelemente ihres politischen Selbstverständnisses und ihrer Bundesverfassung prägen preiszugeben, wenn sie sich als Mitglied der EU anschliessen würde.

 

(Quelle: Beat Spirig, Rolf Weder: «Von Rosinen und anderen Spezialitäten – Die Schweiz und die EU», Verlag NZZ, Zürich 2011, S. 176 ff.)

 

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