Wenn sich Verhandler von laufend neuen Forderungen der Gegenseite nur in die Enge treiben lassen, aber nie Gegenforderungen stellen, vielmehr der Gegenseite immer gefallen möchten, wenn die Medien vor den Verhandlern nur devot niederknien statt ihre Tätigkeit kritisch und gut orientiert zu begleiten – dann ist Verhandlungserfolg kaum erreichbar.

Angeführt von den Sonntagszeitungen gibt sich Bundesbern betont überrascht darüber, dass Brüssel in der vermeintlichen Schlussphase der Verhandlungen um den der Schweiz von der Europäischen Union zugemuteten Rahmenvertrag plötzlich auch noch die sog. «Unionsbürgerrechts-Linie» aufzwingen will.

Die Unionsbürgerschafts-Richtlinie

Wer sich – wie zum Beispiel das Komitee «EU-No» – seriös mit dem Verhandlungsmandat, mit den Papieren und Standpunkten auch der Gegenseite, also Brüssels, umfassend und sorgfältig auseinandergesetzt hat, der weist seit Jahren darauf hin, dass der Schweiz mit dem Rahmenvertrag irgend einmal die Übernahme mindestens der Kernelemente dieser EU-«Unionsbürgerschaft» aufgezwungen werden dürften. Dass Brüssel dies im Schilde führt, ist eigentlich nie verborgen geblieben.

Schliesslich ist seit Jahren an den Fingern abzählbar, dass die in den Schulden schlechthin ertrinkenden EU-Südländer nach jedem Rettungsanker greifen, wenn eine Chance winkt, wenigstens einen Teil der sie regelrecht erwürgenden Sozialhilfelasten, die aus der grossen Arbeitslosigkeit im Süden resultieren, auf die aus ihrer Sicht märchenhaft reiche Schweiz abwälzen zu können: Wer aus dem Elend in den EU-Südländern in die Schweiz auswandert – was jedermann als Folge der EU-Personenfreizügigkeit nahezu ungehindert kann – , für den soll das Zielland Schweiz möglichst rasch sozialhilfepflichtig werden. Ein elementares Interesse, das von Lissabon, Madrid, Paris, Rom und Athen seit Jahren vertreten wird.

Wer sich von daraus resultierenden Forderungen überraschen, ja übertölpeln lässt, ist als Verhandlungsführer eigentlich untauglich. Hat er noch nicht realisiert, dass die genau gleich motivierte Forderung der Schweiz auch bezüglich Arbeitslosenunterstützung präsentiert worden ist? Die Katastrophe des für die weniger leistungsfähigen Südländer viel zu starken Euro soll damit zum Teil auf die Schweiz abgewälzt werden. Von dieser Motivation, von dieser Zielsetzung kann man sich doch nicht überraschen lassen.

Brüssels Verhandlungstaktik

Der Rest ist eigentlich nur elementare Verhandlungstaktik. Auch der EU ist seit Jahren klar, dass die Absicht, der Schweiz zumindest die Kernelemente der EU-Unionsbürgerschafts-Richtlinie aufzwingen zu wollen, in unserem Land äusserst unpopulär ist. Sie kann zu Bern nur Unwillen und Widerstand auslösen. Also hütet sich Brüssel davor, diese Widerstand weckende, für Brüssel aber zentrale Forderung bereits in einer Frühphase der Verhandlungen den Schweizern zu präsentieren. Brüssel beliess die Schweiz vielmehr in der Illusion, dass diese Forderung ausbleiben könnte, was Bundesbern dazu bewog, den Rahmenvertrag gegenüber den Schweizerinnen und Schweizern notorisch zu verharmlosen – sozusagen als blosses Mäntelchen darzustellen, das alle bisher vereinbarten bilateralen Verträge lediglich rechtlich etwas bündeln wolle.

Doch dann, als die Schweizer Verhandler zu Brüssel in der Hoffnung erschienen, man müsse bloss noch die Unterschrift unter das insgesamt doch eher harmlose Vertragswerk setzen – genau in diesem Moment wurde die harte, indessen längst absehbare Forderung den Delegierten aus Bern apodiktisch – «friss oder stirb!» – präsentiert.

Kein Grund zu überstürztem Handeln

Man kann zu diesem Vorgang nur feststellen: Die Schweiz steht von der Sache her nicht unter Druck. Sie kann ruhig zuwarten, bis Brüssel das viel grössere Brexit-Problem irgendwie hinter sich gebracht hat. Unter Druck stehen allenfalls Bundesbern und Economiesuisse, die gegenüber der Bevölkerung mit verdeckten Karten gespielt haben – und jetzt von Brüssel auf peinliche Weise ins Abseits manövriert worden sind.

Angesichts der Erschütterungen, welche die EU derart an mehreren Fronten heimsuchen, droht der Schweiz auch aus längerem Verhandlungsunterbruch keine Gefahr.

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Kommentare

  1. Da die Schweiz nie eine Grossmacht war, verstehen die CH-Exponenten auch nicht, wie man mit einer sog. Grossmacht verhandelt. Was diese Herren CH-Minister über all die Jahre getan haben, ist schlicht und einfach skandalös!

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