Nein zum schleichenden EU-Beitritt

Am 5. Juni 2014 hat Christoph Blocher an einer Zusammenkunft des Komitees «Nein zum schleichenden EU-Beitritt» folgende mündliche Standortbestimmung – ohne Manuskript – vorgenommen:

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Im Komitee «Nein zum schleichenden EU-Beitritt» finden all jene zusammen, welche der Überzeugung sind, dass es schädlich ist und dass es die Schweiz wirtschaftlich, sozial, gesellschaftlich und bezüglich Sicherheit schwächt, wenn sie ihre Unabhängigkeit preisgibt. Aber die Unabhängigkeit der Schweiz ist gefährdet, vor allem durch die Bestrebungen des Bundesrats und – wie es sich schon heute voraussehen lässt – der Mehrheit des Parlaments: Diese wollen mit einem sog. «Rahmenvertrag», mit einem Vertrag über die «institutionelle Einbindung» die Schweiz an die Europäische Union fest anbinden.

Die Ausgangslage

Die Europäische Union hat von der Schweiz verlangt, sie müsse in allen Sachbereichen, die zwischen der Schweiz und der EU in bilateralen Verträgen bisher geregelt worden sind oder in Zukunft noch geregelt werden, alle EU-Beschlüsse und -Gesetze übernehmen – ohne dass die Schweiz dazu etwas anderes beschliessen könne. Wir müssen also den Acquis communautaire übernehmen. Die Schweiz müsste sich verpflichten, für einen Grossteil ihrer Rechtsgebiete das EU-Recht vollständig zu übernehmen.

Würden Streitigkeiten zur Auslegung von Vertragsbestimmungen entstehen, müsste die Schweiz das Urteil des Europäischen Gerichtshofs dazu anerkennen. Fremde Richter und fremdes Recht – das ist es, was der geplante Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der EU uns zumutet. Und es ist leicht vorauszusehen: Wenn die Schweiz diesen Rahmenvertrag unterzeichnet, würde sie immer stärker in die Rechtsordnung der Europäischen Union eingebunden – bis wir am Schluss die Rechtsordnung der Europäischen Union übernommen hätten und damit in der Europäischen Union wären, ohne dass wir darüber an der Urne entschieden hätten.

Das ist die Heimlichtuerei, das Schleichende an der laufenden Operation. Niemand wird das so aussprechen, wie ich es eben dargelegt habe – aber so wird die Entwicklung verlaufen.

Bern wiegelt ab

Bern wird behaupten, es ginge bloss um die Zukunft des bilateralen Wegs. Das sei doch harmlos; der Weg sei doch das Ziel – und der Weg heisse «bilateraler Weg». Doch niemand sagt dem Volk, dass dieser Weg gepflastert ist mit Verträgen, die uns immer stärker in die EU einbinden. Gerade deshalb verliert niemand ein Wort darüber, welches Ziel der bilaterale Weg verfolgt. Denn auch Bern hat erkannt: Der Widerstand gegen den EU-Beitritt ist in der Schweiz heute so gross wie nie in den letzten zwanzig Jahren.

Zur Erinnerung: Als wir 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abstimmten, waren rund fünfzig Prozent der Schweizer für einen EU-Beitritt. Und fünfzig Prozent waren dagegen. Heute – gemäss seriösen Untersuchungen – sind ungefähr 84 Prozent der Bevölkerung gegen einen EU-Beitritt. Das bleibt den Politikern zu Bern natürlich nicht verborgen. Darum wird man in Bern mit allen Mitteln betonen: «Nein! Wir wollen auf keinen Fall in die Europäische Union. Wir gehen nicht in die Europäische Union. Ein EU-Beitritt kommt für uns nicht in Frage. Die Leute wollen nicht in die EU. Wir wollen nur den bilateralen Weg.»

Doch der bilaterale Weg, wie ihn der Bundesrat mit der «institutionellen Einbindung» der Schweiz anstrebt, führt in die Europäische Union. Bundespräsident Didier Burkhalter hat mir gesagt: «Glaub mir doch! Ich will nicht in die EU!» Ich habe ihm geantwortet: «Das weiss ich nicht, ob Du in die EU willst oder nicht. Aber Du gehst in die EU.»

Das Ziel heisst «Einbindung»

Für uns ist nicht wichtig, ob die Bundesräte in die EU wollen. Wichtig ist, dass sie die Schweiz einbinden, Schritt für Schritt in die EU lenken. Das ist die Quintessenz ihrer Politik. Natürlich wird man das immer wieder kaschieren. Man wird erstens behaupten, wenn gewisse Schritte nicht getan würden, dann hätten die bilateralen Verträge keine Zukunft mehr. Dabei ist Tatsache: Es gibt nichts, das wir von der EU unbedingt erhalten möchten. Anderseits möchte die Europäische Union ausgesprochen Vieles von uns erhalten: Im Steuerbereich, im Informationsaustausch, im Dienstleistungsbereich. Jetzt, nach dem 9. Februar 2014, wollen sie von uns, dass wir die Personenfreizügigkeit aufrechterhalten. Und so weiter. Das alles will die EU von uns bekommen. Wir aber wollen all das nicht. Brüssel kann uns noch lange mit Strafen drohen im Sinne von «Wenn Ihr nicht macht, was wir wollen, dann gibt’s keine bilateralen Verträge mehr».

Als Antwort könnten wir dazu sagen: «Gut, wir akzeptieren all diese EU-Absagen. Aber dann ist auch Schluss mit Verhandlungen über die Steuergesetzgebung und über den automatischen Informationsaustausch. Und es ist Schluss mit Verhandlungen über Dienstleistungen; und gewiss auch mit Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit. Das alles ist erledigt, wenn die EU die bilateralen Verträge kappen will.»

Sanktionen gegen die Schweiz

Aber man wird von der Gegenseite sagen: Es ist nicht so, dass die Schweiz unbedingt alles EU-Recht übernehmen müsste. Es sei ja vorgespurt, dass die Schweiz zu gewissen Forderungen auch Nein sagen könne. Damit aber bekäme die EU das Recht, Sanktionen gegen die Schweiz zu ergreifen. Und weil das Wort «Sanktionen» ein gar ehrliches und hartes Wort ist, sagen sie es anders, verblümter: Die EU erhalte das Recht, «Ausgleichsmassnahmen» zu treffen. Das tönt schön, diese neue Sprachregelung. Sie wird im «Wörterbuch des Schleichbeitritts» – herausgegeben von unserem Komitee – natürlich erscheinen.

Was sind denn Ausgleichsmassnahmen? Die Antwort ist klar: Ausgleichsmassnahmen sind Sanktionen. Wir warten darauf, bis unsere Strafrichter mit der Aussage daher kommen, künftig würde niemand mehr bestraft, es würden keine Sanktionen mehr gegen Straftäter verhängt. Man denke nur noch an «Ausgleichsmassnahmen»: Als «Ausgleich» für eine von ihm begangene Missetat müsse der Verbrecher sieben Jahre Ins Gefängnis. – Sie sehen, wie mit Worten Schindluderei getrieben werden kann.

Bezüglich der von uns geforderten Unterordnung unter den EU-Gerichtshof findet dasselbe statt: Bern beteuert, wir könnten alle Befürchtungen vergessen, wonach wir angeblich fremdes Recht, ausgelegt von fremden Richtern zu übernehmen hätten. Aber Brüssel will, dass wir EU-Recht übernehmen. Und es will auch, dass die EU-Richter, also fremde Richter dieses fremde Recht auslegen und anwenden. Und Bundesbern macht mit. Auch die Mehrheit des Parlaments macht mit.

Es geht dabei vor allem um Eines: Es geht um die Ausschaltung des schweizerischen Souveräns – des Schweizervolks und der Kantone. Man will uns verbieten, Verfassungsbestimmungen zu erlassen, die als gegen die EU gerichtet ausgelegt werden können. Wir dürfen keine Gesetze mehr beschliessen, die sich gegen Massnahmen der EU richten. Das ist das Ziel, das Bern verfolgt. Ein betrübliches Ziel. Es soll das Volk ausgeschaltet werden, das in Volksabstimmungen Nein sagen könnte zu Vorlagen, zu denen Bundesbern nur noch ein Ja akzeptieren will. Bern will nicht mehr zulassen, dass das Schweizervolk anderes beschliesst als Bundesbern befiehlt. Im Blick auf gewisse Volksabstimmungen (Ja zur Ausschaffungsinitiative, Ja zur Initiative gegen die Masseneinwanderung) ist das nichts anderes als eine Tatsachen-Feststellung.

Würde der sog. «Rahmenvertrag» in einer Volksabstimmung angenommen, dann wäre dies verhängnisvoll für unser Land. Deshalb, zur Abwendung dieses Verhängnisses, haben wir das Komitee «gegen den schleichenden EU-Beitritt» gegründet. Wir müssen diesen wichtigen Kampf aufnehmen. Und wir müssen ihn gewinnen. Es reicht nicht, den Kampf bloss zu führen. Wir müssen gewinnen. Sonst ist die Schweiz ihrer Selbstbestimmung beraubt – und wir werden in die Europäische Union einziehen müssen.

Der 9. Februar 2014

Die Entwicklung hat sich seit dem 9. Februar sowohl für Bundesbern als auch für Brüssel kompliziert. Die Tatsache gewordenen Komplikationen sind aber heilsam. Schliesslich beruht die entstandene Auseinandersetzung auf einem bilateralen Vertrag, der die freie Zuwanderung von Personen aus der EU in die Schweiz zum Inhalt hat: Es geht um die Personenfreizügigkeit.

Ich blende zurück: Bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts galt für die Schweiz die Personenfreizügigkeit. Dann stellte man eine derart dramatische Zunahme der Zuwanderung fest, dass die Personenfreizügigkeit nicht aufrecht erhalten werden konnte. Man erkannte damals: Die Zuwanderung muss reguliert werden.

Übrigens: Es gibt auf der Welt keinen einzigen Staat, der die Einwanderung einem Regime der Personenfreizügigkeit unterstellt. Die Schweiz ist das einzige Land, das solches zulässt. Die USA, Kanada, Australien – alle drei klassische Einwanderungsländer – kennen keine Personenfreizügigkeit bezüglich Einwanderung.

Die EU-Staaten haben untereinander die Personenfreizügigkeit eingeführt. Denn sie wollen, dass die EU zu einem einzigen Staat zusammenwächst.

Die Schweiz hat dasselbe beschlossen im Jahr 1848: Die Personenfreizügigkeit zwischen allen Kantonen sollte das Land zusammenschweissen. Zuvor galt diese Personenfreizügigkeit nicht. Zuvor konnte ein Genfer nicht einfach in Zürich arbeiten, wenn er dies wollte. Er bedurfte dazu einer Bewilligung. Nach 1848 aber galt die Personenfreizügigkeit in der Schweiz. Aber sie wurde vorsichtig angewendet: Man gestattete zwar allen Einwohnern, dort zu arbeiten, wo sie wollten. Die Pflicht zurSozialhilfe aber, die sog. Armengenössigkeit, verblieb beim Bürgerrechts-Kanton. Damals wohnten die meisten Menschen noch in jenem Kanton, in dem sie auch Bürger waren. Ein Genfer Bürger konnte nach 1848 neu auch in Zürich arbeiten. Wurde er aber stellenlos, armengenössig, dann wurde jene Gemeinde hilfspflichtig, in der er das Bürgerrecht besass. Diejenigen, welche die Schweiz damals lenkten, haben sehr klar erkannt, dass andernfalls Zuwanderung in die Sozialwerke jener Kantone stattfinden würde, welche höhere Sozialleistungen ausrichteten. Dieses System, wonach die Bürgergemeinde sozialhilfepflichtig für in Not Geratene wurde, wurde in der Schweiz erst in den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts aufgehoben.

Die Personenfreizügigkeit ist nicht tragbar

Heute wohnen die weitaus meisten Bewohner der Schweiz nicht mehr am Ort ihrer Bürgergemeinde. Auch sind die Unterschiede bezüglich Sozialleistungen zwischen den Kantonen nicht mehr überaus gross. Gegenüber Europa ist dies anders. Da untersteht die Schweiz der Pflicht, für EU-Bürger, die in die Schweiz eingereist sind und hier geblieben sind, während in der Regel bis zu fünf Jahren die Armengenössigkeit anzuerkennen. Der Schweizer Wohnort des EU-Ausländers ist verpflichtet, diese Sozialleistungen zu erbringen. Das ist ein Ergebnis der Personenfreizügigkeit. Sie wurde eingeführt 2007 für einen Teil der EU-Staaten. Noch gilt sie nicht für alle EU-Staaten: Gegenüber Rumänien und Bulgarien – beides EU-Neumitglieder – besteht die freie Einwanderung noch nicht. Auch gegenüber Kroatien hat erst die Übergangsfrist begonnen.

Aber schon heute ist klar zu erkennen, was die Einführung der Personenfreizügigkeit seit 2007 bewirkt hat: Die Zuwanderung in die Schweiz hat jedes Mass gesprengt. Bei ihrer Einführung sagte der Bundesrat eine jährliche Zuwanderung von achttausend bis zehntausend EU-Bürgern in die Schweiz voraus. Gekommen sind indessen achtzigtausend pro Jahr. 2014 werden es noch deutlich mehr sein.

Nur zum Vergleich: Die Zuwanderung nach Deutschland – auch Deutschland hat als Folge der Personenfreizügigkeit Probleme mit Zugewanderten – ist zehnmal kleiner als die Zuwanderung in die Schweiz. Im Jahr 2013 sind in die Schweiz 84‘000 EU-Bürger eingewandert. Nach Deutschland 87‘000 – bei zehnmal grösserer Einwohnerzahl. Die Deutschen haben etwas über siebzig Millionen Einwohner. Wir um die acht Millionen. Wir verzeichnen 84‘000, die Deutschen 87‘000 Zuwanderer. Diese in ihrem Ausmass unglaubliche Zuwanderung ist der Grund, dass Volk und Kantone der Schweiz am 9. Februar entschieden haben: Die Personenfreizügigkeit ist zu Ende.

Die Umsetzung der Initiative

Der erste Satz in der am 9. Februar 2014 angenommenen Volksinitiative sagt klar, was der Souverän der Schweiz beschlossen hat: «Die Schweiz regelt die Zuwanderung eigenständig». Die Schweiz regelt! Nicht die Europäische Union. Nicht sonst irgend jemand. Und zweitens wurde festgelegt: Es gibt bezüglich Zuwanderung Höchstkontingente pro Jahr. Und es gibt einen Vorrang der Inländer auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Überdies ist Rücksicht zu nehmen auf die wirtschaftliche Lage, auf den Zustand der Wirtschaft.

Die Initiative gegen die Masseneinwanderung ist so formuliert, dass die Schweiz jene Regulierung, die schon zwischen 1970 und 2003 gegolten hat, wieder einführen kann. Man kann auch eine andere Lösung treffen. Aber die Kontingentierung, wie sie von 1970 bis 2003 während 33 Jahren funktioniert hat, kann wieder eingeführt werden. Nach 2003 wurden aufgrund des bilateralen Vertrags über die Personenfreizügigkeit zunächst gewisse Ausnahmen hingenommen. Auch das hat noch einigermassen funktioniert. Aber man kann rückblickend feststellen: Selbst in Hochkonjunktur-Zeiten, selbst dann, als die Konjunktur hier überhitzt war, betrug die Zuwanderung lediglich rund vierzigtausend Einwanderer. Sie war halb so gross wie heute. In normaleren Zeiten pendelte sie sich bei dreissigtausend ein. In wirtschaftlich schlechten Jahren war sie manchmal sogar negativ. Sie sehen: Dieses Kontingentierungs-Regime hat funktioniert – weit besser als die heutige, freie, völlig ungehinderte Einwanderung.

Die von Volk und Ständen beschlossene Verfassungsbestimmung sieht vor, dass die neue Regelung der Einwanderung auf dem Weg von Verhandlungen durchzusetzen sei. Es sei dafür ein neuer Vertrag mit der EU abzuschliessen. Warum dies? Weil auch im Abkommen über die Personenfreizügigkeit ausdrücklich vorgesehen ist, dass ein Land, das mit der Personenfreizügigkeit in Schwierigkeiten von nicht mehr lösbarem Ausmass gerät, eine Anpassung des Vertrags verlangen kann.

Nun ist bekannt geworden, dass sich die Europäische Union jeglicher Anpassung widersetzen will. Die EU verlangt, dass alles so bleiben müsse wie es heute ist. Dazu ist unsere Antwort klar: Es ist richtig, dass die Personenfreizügigkeit ein Bestandteil der inneren Ordnung der Europäischen Union ist. Ein Bestandteil, den Brüssel als unverzichtbar bezeichnet. Das wurde seitens der EU der Schweiz ja auch mit Nachdruck mitgeteilt.

Dazu sind folgende Feststellungen angebracht: Erstens ist festzuhalten, dass Europa 45 Staaten zählt – so viele Mitglieder hat der Europarat, der sämtliche europäischen Staaten umfasst und der für Menschenrechtsfragen zuständig ist. Die Europäische Union dagegen besteht aus 28 Staaten, masst sich indessen laufend an, als «Europa» zu gelten. Doch die Schweiz ist einer der 45 europäischen Staaten, der nicht zu den 28 Staaten gehört, welche die Europäische Union bilden.

Dies scheint Brüssel vergessen zu haben. Also muss es der EU in Erinnerung gerufen werden. Das ist die vordringliche Aufgabe der Berner Diplomatie. Brüssel behandelt uns so, als wäre die Schweiz ein Mitglied der Europäischen Union. Wir zweifeln nicht daran und wir bekämpfen auch nicht, dass die Personenfreizügigkeit eine unverzichtbare Säule der Europäischen Union sein soll. Aber dass die Personenfreizügigkeit auch dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz aufgezwungen werden soll, als wäre sie Mitglied der EU, das akzeptieren wir nicht. Das muss sich kein Nicht-Mitglied der EU gefallen lassen.

Grössenwahn

In dieser Anmassung, sich als «Europa» auszugeben, zeigt sich der Grössenwahn der Bürokraten von Brüssel. Dazu müsste Bern endlich unmissverständlich Stellung nehmen: Die Anmassung, die Schweiz wie ein EU-Mitglied zu behandeln, müsste Bern endlich energisch zurückweisen.

Genau dies aber unterlässt Bern seit Jahren. Und das rächt sich heute. Man liess die EU während fast zwanzig Jahren im Glauben, die Schweiz sei auf dem Weg, Mitglied der EU zu werden. Dazu wurde ja 1992 ein Gesuch eingereicht, das noch immer irgendwo in Brüssel liegt. Darin ersucht Bern darum, es seien Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel des EU-Beitritts der Schweiz. Damit hat man die Öffentlichkeit seit Jahren an der Nase herumgeführt. Man kann es Brüssel nicht verargen, dass es dieses Gesuch ernst genommen hat. Aber es ist zu kritisieren, dass Bern nach dem EWR-Nein nie die Kraft fand, dieses Gesuch endlich zurückzuziehen, also gegenüber Brüssel zu erklären: Wir haben uns getäuscht bezüglich des Willens unserer Bevölkerung. Die Bevölkerung, der Souverän, der oberste Chef in der direkten Demokratie hat entschieden, dass die Schweiz nicht Mitglied der Europäischen Union werden will. Der Souverän hat Nein gesagt zum EU-Beitritt. Er sagte auch Nein zum EWR-Beitritt. Deshalb möge Brüssel das Beitrittsgesuch der Schweiz zurückschicken oder annullieren.

Man erkennt heute die Folgen der Inkonsequenz bezüglich der Handhabung dieses Gesuchs. Heute ist die Personenfreizügigkeit für die Schweiz noch verbindlich. Die am 9. Februar 2014 angenommene Initiative gewährt für Verhandlungen über die Einwanderung drei Jahre Zeit.

Das Kalkül des Bundesrats

Jetzt aber zeichnet sich ab, dass der Bundesrat gar keine Verhandlungen will. Er liess sich ein – zwar nicht veröffentlichtes – Gutachten anfertigen, das dem Bundesrat gemäss dessen eigenen Angaben drei Monate nach der Abstimmung Klarheit darüber verschaffte, dass das, was das Volk am 9. Februar beschlossen habe, in Widerspruch stünde zur Personenfreizügigkeit. Ich wurde kürzlich am Fernsehen gefragt, ob ich als Unternehmer ebenfalls ein Gutachten zu dieser Frage in Auftrag gegeben hätte. Meine Antwort: Für solches hätte ich gewiss keinen einzigen Rappen ausgegeben. Das, was das Gutachten dem Bundesrat an Erkenntnis lieferte, war jedermann, der bei klaren Gedanken ist, bereits am Abend des 9. Februar klar: Der Zweck der Abstimmung bestand ja gerade darin, die Absage an die Personenfreizügigkeit zu erreichen. Erfreulich, dass ein Gutachter nach drei Monaten Bedenkzeit zum gleichen Schluss kommt.

Aber das Gutachten entstand wohl aus anderen Gründen. Es geht – wie auch der Bundesrat festhält – davon aus, die Personenfreizügigkeit müsse unverändert erhalten bleiben. Weil sie genau dies ebenfalls wollten, haben sowohl die Linke als auch die Freisinnigen bereits am Abend des 9. Februar die Meinung vertreten, das Abstimmungsergebnis werde nicht durchgesetzt. Denn es richte sich gegen die Personenfreizügigkeit.

Da dies nicht zulässig sei, sei eine zweite Abstimmung anzuberaumen. Man kann sich lebhaft vorstellen, auf was für Grundlagen in Brüssel verhandelt werden müsste, wenn in der Schweiz die Personenfreizügigkeit, die uns als Nicht-Mitglied nicht bindet, als derart sakrosankt bezeichnet wird. Wie soll Brüssel mit der Schweiz über die Einwanderung neu verhandeln, wenn sie von allen Seiten vernimmt, dass der Entscheid vom 9. Februar nicht durchgesetzt werde?

Kehrtwende

Doch plötzlich hat eine Kehrtwende stattgefunden. Vor den sog. von Wattenwyl-Gesprächen – in denen sich Vertreter der Regierungsparteien vor jeder Session mit dem Bundesrat auszusprechen pflegen – erklärten plötzlich alle Abstimmungsverlierer vom 9. Februar von der SP bis zur BDP übereinstimmend: Man sei jetzt gewillt, das Resultat der Abstimmung und damit die Forderung der Initiative gegen die Masseneinwanderung konsequent und buchstabengetreu umzusetzen.

Als Zuschauer stutzte man: Was hat diese Kehrtwende herbeigeführt? Alle, die nach dem 9. Februar angekündigt haben, sie würden sich mit Haut und Haar gegen die Umsetzung des Abstimmungsresultats wehren, wollen genau dieses Resultat jetzt plötzlich umsetzen?

Es war dies das Ergebnis einer Sitzung «aller» Parteien – von der allerdings die Schweizerische Volkspartei, die Abstimmungsgewinnerin vom 9. Februar also, ausgeschlossen wurde.

Was steckt hinter diesem Vorhaben? Es wurde an dieser unter Ausschluss der SVP durchgeführten Sitzung beschlossen, nach aussen die konsequente Umsetzung der Initiative zu fordern. Der Plan besteht dabei darin, in Brüssel dazu mit möglichst schroffen Forderungen aufzutreten, auf dass man sobald als möglich mit einem ebenso schroffen Nein aus Brüssel nach Hause zurückkehren könne. Darauf könne man dem Volk dann erklären, dass das, was am 9. Februar beschlossen worden sei, angesichts der Weigerung Brüssels, über die Personenfreizügigkeit neu zu verhandeln, nicht umzusetzen sei – weshalb eine zweite Abstimmung vorzunehmen sei.

So sieht die Absicht der Abstimmungsverlierer aus. Wir haben uns also darauf gefasst zu machen, in nächster Zeit – allenfalls bereits anfangs des nächsten Jahres – noch einmal über die Personenfreizügigkeit abstimmen zu müssen. Gut, nehmen wir das hin! Ich glaube nicht, dass das Volk seine Haltung ändern wird. Schon deshalb nicht, weil seit Jahresbeginn 2014 die Zuwanderung noch einmal deutlich angestiegen ist.

Die zweite Argumentationsschiene

Es existiert noch eine zweite Argumentationsschiene. Sie läuft ebenfalls darauf hinaus, auf schroffe Forderungen mit schroffem Nein aus Brüssel nach Hause zurückzukehren. Darauf sei der Bevölkerung möglichst rasch der Rahmenvertrag über die institutionelle Einbindung der Schweiz in die EU vorzulegen. Dieser Rahmenvertrag steht über allen bisherigen und allen künftigen bilateralen Verträgen. Er sieht die automatische Übernahme (neuerdings spricht der Bundesrat zwar von «dynamischer Übernahme») von all jenen EU-Beschlüssen und EU-Gesetzen vor, die in einem Bezug stehen zu bestehenden und künftigen bilateralen Verträgen.

In Bern gibt es Taktiker, die darauf zählen, dass das Schweizervolk unter dem Druck der EU in Sachen Personenfreizügigkeit dem Rahmenvertrag zustimmen werde. Diese Taktiker spekulieren darauf, dass die Personenfreizügigkeit, wenn der Rahmenvertrag einmal angenommen worden sei, dann ebenfalls den Bestimmungen dieses neuen Vertrags unterstellt würde. Im Rahmen der obligatorischen Übernahme fremden Rechts, dessen Anwendung gegebenenfalls vom EU-Gerichtshof für die Schweiz verbindlich angeordnet würde, käme die Wiedereinführung der Personenfreizügigkeit auf diesem Weg zustande.

Ein durchtriebenes Vorgehen. Aber diejenigen, die es ins Auge fassen, sind durchschaut. Es werden sich in der Abstimmung über diesen Rahmenvertrag die grundsätzlichen Gegner des EU-Beitritts mit den Gegnern der Personenfreizügigkeit vereinigen. Die Gegenseite, Bundesbern, geht davon aus, alle Befürworter der Personenfreizügigkeit würden auch den schleichenden EU-Beitritt in Kauf nehmen. Es wird sich zeigen, wer die Situation richtig einschätzt. Für uns ist wichtig, zu erkennen, worauf wir uns zu wappnen haben, wie das von Bundesbern angelegte Spiel gespielt wird.

Die Lage ändert sich von Woche zu Woche

Die Entwicklung ist allerdings im Fluss. Die Situation ändert sich alle paar Wochen. Unsere Aufgabe ist es, genau hinzuschauen, wie der Gegner vorgeht. Die Europäische Union droht uns, als Reaktion auf eine schweizerische Absage an die Personenfreizügigkeit die Guillotine-Klausel zur Anwendung zu bringen, also alle sechs weiteren Verträge des ersten bilateralen Pakets platzen zu lassen: Den Transitvertrag, den Vertrag über landwirtschaftliche Produkte, den Forschungsvertrag, die Verträge über die technischen Handelshemmnisse und über das öffentliche Beschaffungswesen sowie den Vertrag über den Luftverkehr.

Ich teile Ihnen hier mit: Wir sind daran, die Konsequenzen einer solch radikalen Massnahme sehr genau zu untersuchen. Wir zählen zum Beispiel auf die Stimme eines Unternehmers eines grossen Export-Konzerns. Sein Unternehmen hat festgestellt, dass diese bilateralen Verträge uns dann, wenn sie preisgegeben werden müssten, nicht allzu grosse Probleme bereiten würden. Es sei auch kaum glaubhaft, dass die EU derart radikal vorgehen werde. Die Schweiz würde davon weit weniger getroffen als die EU selber. Insbesondere die Export-Industrie hätte wenig zu befürchten. Bezüglich der technischen Handelshemmnisse wären gewisse Zusatzanstrengungen nötig. Aber auch die EU müsste dann sämtliche Produkte, die sie in der Schweiz absetzen möchte, zusätzlich zertifizieren lassen, so wie Schweizer Unternehmen ihre Produkte in der EU zertifizieren lassen müssten.

Die Export- und Importzahlen

Zur Beurteilung der gegenseitigen Interessenlage sind die Handelszahlen für 2013 beizuziehen. Es sind eindrückliche Zahlen:

Die Europäische Union hat (gemäss EUROSTAT, März 2014) im Jahr 2013 Waren im Wert von 170 Milliarden Franken in die Schweiz geliefert. Die Schweiz hat im gleichen Jahr Waren im Betrag von 95 Milliarden Franken in die EU exportiert. Die EU hat gegenüber der Schweiz also einen Export-Überschuss von nicht weniger als 75 Milliarden Franken erzielt.

Die Schweiz ist das weltweit zweitbeste Abnehmerland für Waren aus der Europäischen Union. Wir haben als Kundin der EU China überholt, Japan weit zurückgelassen und stehen unmittelbar hinter den USA.

Es gibt in der EU nicht nur Juristen und Bürokraten in Brüssel. Es gibt in der EU auch Unternehmer, die ganz bestimmte Interessen verfolgen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Länder wie Holland, wie die Beneluxländer, wie Deutschland, Italien, Griechenland oder Spanien zulassen würden, dass der Transitvertrag durch die Schweiz gekündigt werden soll? Dieser Transitvertrag gestattet den Lastwagen aus EU-Ländern die Durchfahrt durch die Schweiz für dreihundert Franken. Der Schweiz erwachsen pro Lastwagen um die neunhundert Franken an Kosten. Jede Transitfahrt wird von der Schweiz also mit sage und schreibe sechshundert Franken subventioniert. Die Transporteure der EU-Länder sind doch nicht so dumm, auf diese sechshundert Franken Subvention pro Transitfahrt zu verzichten und stattdessen lange, teure Umwege in Kauf zu nehmen! Dazu sind Unternehmen, die auf Profit angewiesen sind, nicht bereit – was immer die Bürokraten zu Brüssel wollen.

Bezüglich landwirtschaftlicher Exporte und Importe, etwa von Käse, sind die Verhältnisse ähnlich. Die Schweiz importiert weit mehr Käse aus der EU als dass sie Käse in die EU exportiert. Glaubt jemand, die französischen Bauern würden begeistert zustimmen, wenn der ihnen heute mögliche Exporterfolg bezüglich Käse von Brüssel verunmöglicht würde?

Diese paar Beispiele über die wirtschaftliche Interessenlage in der Schweiz und in der EU sind wichtig. Sie schaffen die Drohung der Enthauptung aller bilateralen Verträge per Guillotine zwar nicht aus der Welt. Aber sie konfrontieren sie mit den wirtschaftlichen Fakten.

Rascher Vertragsabschluss ist zu erwarten

Derzeit sieht es so aus, dass der Rahmenvertrag mit der EU, dessen tragende Säulen längst feststehen, sehr rasch ausgehandelt sein wird. Bezüglich Personenfreizügigkeit will der Bundesrat seinen Vorschlag zur Umsetzung der Initiative gegen die Masseneinwanderung noch im Juni vorlegen. Er hat dazu eine Blitz-Vernehmlassung angekündigt, will seinen Vorschlag aber sofort auch in Brüssel präsentieren. Dafür will er sich – wahrscheinlich längst einvernehmlich mit der EU vereinbart – eine schroffe Absage aus der EU-Zentrale einhandeln. Und der Bundesrat wird dann dem Schweizervolk die Position verkaufen wollen, es bestünde keinerlei Verhandlungsspielraum gegenüber Brüssel. Dabei hat man Verhandlungen – so wie sie die Initiative ausdrücklich verlangt – gar nicht versucht.

Der Zeitpunkt für Verhandlungen mit der EU ist eigentlich aber auch noch gar nicht gekommen. Jetzt geht es zunächst darum, durchzusetzen, was der Souverän am 9. Februar beschlossen hat. Passt dies Brüssel nicht, dann wird man nicht darum herumkommen, den Vertrag über die Personenfreizügigkeit zu kündigen.

Es existiert zusätzlich die sog. «Schiene der Rechtsgelehrten». Denn die Rechtsgelehrten haben dem Bundesrat schon lange ihre Meinung kundgetan, wonach Bern überhaupt nichts unternehmen müsse. Wenn die Schweiz feststelle, sie hätte in versuchten Verhandlungen mit der EU nichts erreichen können, dann bleibe der heute bestehende Vertrag einfach gültig, sofern er nicht gekündigt werde. Bern müsse dazu auf keinen Fall die Initiative ergreifen, zumal auch Brüssel sie nicht ergreifen werde. Denn inzwischen habe man sich bereits auf den Grundsatz geeinigt, wonach internationales Recht Landesrecht breche. Dieses Prinzip «korrigiere» das Abstimmungsresultat vom 9. Februar ganz von selbst.

Das ist eine neue Masche, derer sich neuerdings auch das Bundesgericht bedient. Wieder geht es um die Ausschaltung des Souveräns.

Die Antwort der Initianten

Aber auch die SVP hat bereits ihre Antwort auf derart trickreiche Umgehung des Souveräns formuliert. Am 2. Juni 2014 hat sie in der Parteileitung die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen, falls der Zuwanderungsartikel nicht durchgesetzt wird. Diese Initiative soll den Bundesrat dazu verpflichten, das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU zu kündigen. Wird dieser Auftrag durch den Souverän erteilt, dann ist der Bundesrat gezwungen, das Kündigungsverfahren einzuleiten.

Solches Vorgehen widerspricht weder EU-Recht noch Schweizer Recht. Denn im Vertrag über die Personenfreizügigkeit steht schwarz auf weiss: Jede Vertragspartei hat das Recht, diesen Vertrag zu kündigen. Wenn der Souverän in einer Volksabstimmung also die Kündigung beschliesst, ist der Bundesrat gezwungen, die Kündigung vorzunehmen. Das Vorhaben liegt bereit; es kann, wenn sich dies aufdrängt, jederzeit gestartet werden.

Diese Vorbereitungen der SVP haben bei Vertretern anderer Parteien einen Aufschrei ausgelöst: Es sei unerträglich, dass die SVP bereits wieder eine Durchsetzungsinitiative in petto habe. Wir haben diesen Aufschrei gehört. Würde das Vorgehen der SVP nicht ins Schwarze treffen, wäre der Aufschrei bestimmt ausgeblieben.

Zeitplan

Noch ein Wort zum Zeitplan: Noch anfangs Jahr haben wir uns ernsthaft mit der Möglichkeit befasst, die Volksabstimmung über den Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, der die institutionelle Einbindung der Schweiz in die Strukturen der EU mit Übernahme fremden Rechts und fremder Richter zum Inhalt hat, könnte bereits im November 2014 stattfinden. Seither sind Komplikationen aus dem Resultat der Volksabstimmung vom 9. Februar entstanden. Der November-Termin ist damit unwahrscheinlich geworden.

Konnte der Rahmenvertrag vom Parlament in der Junisession auch nicht mehr behandelt werden, so ist seine parlamentarische Behandlung im September in beiden Kammern mittels eines überhasteten Verfahrens – das bezüglich EU-Verträgen schon mehrmals zur Anwendung kam – heute noch nicht auszuschliessen. Entscheidet sich die Bundesversammlung darin zu einem fakultativen Referendum, dann wären zwischen Mitte September und Ende Jahr die Unterschriften innert der erforderlichen hundert Tage zusammenzutragen. Die Abstimmung über den Rahmenvertrag könnte damit im Frühjahr 2015 stattfinden.

Das Parlament kann aber auch ein obligatorisches Referendum beschliessen, was es – wenn es das Recht ernst nimmt – ohnehin beschliessen müsste. Damit würde die Unterschriftensammlung für das fakultative Referendum entfallen. Beim obligatorischen Referendum wäre aber auch das Ständemehr erforderlich. Das dürfte die EU-Befürworter abschrecken. Aber es liegt im Bereich des Möglichen, wenn auch nicht Wahrscheinlichen, dass eine Abstimmung über den Rahmenvertrag bereits im Frühjahr 2015 stattfinden könnte.

Wird eine Abstimmung allein über die Personenfreizügigkeit ins Auge gefasst in Form einer neuen Verfassungsbestimmung, die dem obligatorischen Referendum unterliegen würde, dann könnte so etwas in der September-Session theoretisch Hals über Kopf noch beschlossen werden. Dann wäre auch die Abstimmung darüber im November 2014 theoretisch denkbar. Ein Abstimmungsdatum im Frühjahr 2015 wäre allerdings wahrschinlicher.

Ich behaupte nicht, dass die Entwicklung so verlaufen wird. Aber ich sage: Wir dürfen nicht überrascht sein, wenn sie tatsächlich so verläuft. Man ist gut beraten, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Noch möglich ist eine Abstimmung anfangs 2015, bis spätestens im Mai. Später im gleichen Jahr – 2015 ist ja Wahljahr – werden Bundesrat und alle anderen Parteien vor einer Volksabstimmung zur EU-Frage wohl zurückschrecken. Dies ist der Grund, dass Bundesrat Didier Burkhalter als Abstimmungstermin immer das Jahr 2016 beschwört.

Für uns heisst es: Bereit zu sein auch dann, wenn die Abstimmung schon im Frühjahr 2015 stattfinden sollte.

Wir bereiten uns vor

Wir bereiten uns sorgfältig auf die Auseinandersetzung vor. Es gilt einerseits, die Truppe aufzustellen. Zusätzlich ist geistige Arbeit angesagt. Wir müssen die zügigen Argumente aus der Vielfalt aller mit den bilateralen Verträgen verbundenen Fragen herausfiltrieren. Wir müssen zeigen, welches Recht wir, sollte der Rahmenvertrag angenommen werden, künftig von Brüssel zu übernehmen hätten.

Im Moment erscheint alles noch abstrakt. In der Abstimmungskampagne müssen wir jedem Einzelnen zeigen, wie er persönlich betroffen wird, wenn die Rechtsetzung von Bern nach Brüssel verlagert wird. Was heisst das für den Einzelnen, wenn Brüssel allein die Gesetzgebung zur Personenfreizügigkeit vornimmt und als für alle verbindlich verfügt. Wie werden wir damit fertig, wenn wir jährlich achtzigtausend Einwanderer aufnehmen müssen, zur Aufnahme aber nichts mehr zu sagen haben.

Wir haben uns auch damit auseinanderzusetzen, was das sog. EU-Bürgerrecht im Rahmen der Personenfreizügigkeit auf die Schweiz für Auswirkungen hätte. Es würde bedeuten, dass jeder EU-Bürger Anspruch hätte auf das Bürgerrecht in der Schweiz, sobald er hier Wohnsitz nähme. Er wäre dann nicht bloss arbeitsberechtigt, er wäre auch stimmberechtigt.

Das alles sind konkrete Folgen des Rahmenvertrags, die herausgearbeitet und der Bevölkerung präsentiert werden müssen. Was haben wir nach der Übertragung der Gesetzgebung auf Brüssel zu erwarten bezüglich des Verkehrs auf den Schweizer Strassen? Was bedeutet die Übertragung der Gesetzgebung nach Brüssel beispielsweise für Tiertransporte? Gelten künftig die Tiertransport-Bestimmungen der EU oder gelten weiterhin die Schweizer Gesetze? Muss man Zustände, die bis heute als tierquälerisch bezeichnet werden, zulassen, weil Brüssel federführend wird in der Gesetzgebung über den Warentransport?

All diese Fakten sind zusammenzutragen. Wir werden allen 74 Organisationen, die unserem Komitee bis heute beigetreten sind, die Aufforderung zustellen, uns zu informieren, was in Interessensbereichen, welche für diese Organisationen wichtig sind, für Veränderungen zu erwarten sind. Wir erwarten diese Auskünfte zum Beispiel auch von den Jägern; wir erwarten sie von den Schützen bezüglich des Waffengesetzes. Ist freie Jagd noch möglich mit EU-Recht?

Was haben wir im Arbeitsrecht zu erwarten? Was geschieht mit der Schweizer Sozialpartnerschaft, wenn die Gesetzgebung zum Arbeitsrecht an Brüssel abgetreten wird? Diese Fakten sind aufzuarbeiten, und sie sind so zu präsentieren, dass sie jedermann verständlich sind.

Soweit sind wir noch nicht. Die Arbeit am Argumentarium hat begonnen. Liebe Freunde: Die Abstimmung zur Initiative gegen die Masseneinwanderung haben wir allein deshalb gewonnen, weil wir uns auf ein sehr gutes Argumentarium stützen konnten. Wir konnten der Schweiz zeigen, was das für jede Gemeinde, für jede Stadt, für jeden Einzelnen bedeutet, wenn jährlich achtzigtausend Zuwanderer zusätzlich in die Schweiz gelangen. Achtzigtausend: Das entspricht der Einwohnerschaft Luzerns. Wieviele Ärzte, wieviele Lehrer, wieviele Spitäler, wieviele Schulen, wieviele Strassen, wieviele Eisenbahnen sind zusätzlich Jahr für Jahr nötig, wenn jährlich eine Einwanderung von achtzigtausend Personen zu verkraften ist?

Das Zusammentragen der Fakten: Das ist der Hauptauftrag, den wir in den nächsten Wochen zu erfüllen haben. Wir sind auf die Unterstützung aller, die am Ausgang der kommenden Auseinandersetzung interessiert sind, angewiesen. Teilen Sie uns mit, was Sie wissen. Ob Linke, ob Grüne, ob Rechte, ob Interessensorganisationen für Tierschutz, für Naturheilkunde: Erkenntnisse aus allen Sachbereichen sind für uns wichtig und wertvoll. Wir alle verfolgen ein einziges Ziel, das uns verbindet:

Wir wollen, dass die Schweiz unabhängig bleibt. Wir wollen, dass weiterhin der Schweizer Souverän, nicht Funktionäre in Brüssel unsere Gesetze schaffen.

Ganz am Anfang in der Bundesverfassung, in der Präambel steht zum Zweck des Bundes: Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit der Schweiz. Diese Anliegen standen schon 1848 an der Spitze der ersten Schweizerischen Bundesverfassung, geschaffen nach Jahren der Fremdherrschaft durch Napoleon, durch die Russen, durch die Preussen und wer alles sich damals in der Schweiz herumgetrieben hat. Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit gilt es auch heute zu behaupten.

Und es ist wichtig, dass wir auf der Grundlage einer sorgfältig vorgenommenen Lagebeurteilung handeln. Wir müssen wissen, wo wir stehen. Wir müssen wissen, wohin wir wollen. Wir müssen wissen, wieviel Zeit uns zur Verfügung steht, unser Ziel zu erreichen. Wir müssen auch wissen, was unsere Gegner wollen und wir müssen bereit sein, auf ihre Schliche auf dem Weg zum schleichenden EU-Beitritt rechtzeitig zu reagieren.

Wir haben viel Arbeit vor uns. Aber wir kennen das Ziel, das wir gemeinsam erreichen wollen.

Christoph Blocher

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