Wo liegt der Unterschied?

Die Schweiz steht derzeit mit der Europäischen Union in Verhandlungen. Ziel ist der Abschluss eines sogenannten Rahmenvertrags, der grundlegende Bedingungen festschreiben soll, die für sämtliche derzeit über 120 bilateralen Verträgen und Vereinbarungen zwischen der Schweiz und der EU verbindlich sein sollen.

EU-NO Newsletter vom 05.02.2015

In diesem Rahmenvertrag soll sich die Schweiz einerseits verpflichten, EU-Beschlüsse zu allen Belangen, die in bilateralen Vereinbarungen angesprochen werden, automatisch zu übernehmen. Zweitens soll sie sich nach Meinung des Bundesrats bei Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von bilateralen Vereinbarungen bereit erklären, die Entscheide des EU-Gerichtshofs als unanfechtbar anzuerkennen. Sie soll also akzeptieren, dass fortan fremde Richter fremdes Recht über die Schweiz zur Anwendung bringen. Viele, die dieses bundesrätliche Angebot an Brüssel durchschaut haben, werten den Rahmenvertrag deshalb als Unterwerfungs-Vertrag – tritt die Schweiz doch elementare Pfeiler ihrer Souveränität an Brüssel ab.

Vor wenigen Tagen aber ist eine strahlende Bundesrätin Doris Leuthard von Verhandlungen über Strom-Probleme aus Brüssel zurückgekehrt. Seither erklärt sie voller Begeisterung, ihr sei in der EU-Hauptstadt bedeutet worden, Brüssel sei gegebenenfalls auch bereit, den Efta-Gerichtshof gleichsam als Schiedsgericht bei Auslegungsdifferenzen zu bilateralen Verträgen zu akzeptieren. In den Medien erntete unsere Energieministerin für diesen «Erfolg» überschäumenden Applaus. Aber weder Doris Leuthard noch die Medien sahen sich ob all ihres Lobs veranlasst, der Öffentlichkeit den Unterschied zwischen dem EU-Gerichtshof und dem Efta-Gerichtshof zunächst einmal sachgerecht zu erklären.

Um diesen Unterschied zu verstehen, ist ins Jahr 1992 zurückzublenden, in die Schlussphase der Verhandlungen zwischen EU und Efta über die Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsraums (EWR-Vertrag). Als letztes grosses Hindernis vor Vertragsabschluss stand im Frühjahr 1992 noch die Frage im Raum, welches Gericht abschliessend zuständig sei, wenn Meinungsverschiedenheiten über Vertragsanwendungen zwischen der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Freihandels-Assoziation (Efta) bereinigt werden müssten. Die Schweiz als Efta-Mitglied pochte damals energisch und zäh darauf, dass beide Gerichtshöfe, der EU- und der Efta-Gerichtshof als gleichberechtigt anerkannt würden, dass also auch der Efta-Gerichtshof Urteile fällen könne, die dann auch für die EU und ihre Mitgliedländer verbindlich seien.

Zu dieser Streitfrage wurde in allerletzter Verhandlungsphase eine Sondersitzung anberaumt, die einzig den Ministern vorbehalten war, zu denen die diplomatischen Stäbe, angeführt von den eigentlichen Verhandlungsführern, also nicht zugelassen wurden. Diese finale Verhandlungsrunde unter den Ministern sei, wie später bekannt wurde, ausschliesslich in englischer Sprache geführt worden, was einige der Teilnehmer vor gewisse Probleme gestellt haben soll – auch die beiden Schweizer, den damaligen Volkswirtschaftsminister Jean-Pascal Delamuraz und den damaligen Aussenminister René Felber, beide französischer Zunge, beide im Englischen nicht wirklich bewandert.

In dieser letzten Verhandlungsrunde setzte sich die EU mit ihrem Standpunkt klar durch: Es sei gemäss der innerhalb der EU gültigen Verträge undenkbar, dass ein anderes Gericht als der EU-Gerichtshof verbindliche Urteile für oder gegen ein EU-Mitgliedland oder die EU insgesamt treffen könne. Es käme innerhalb der EU einem Vertragsbruch gleich, ein anderes Gericht dem EU-Gerichtshof als gleichberechtigt zur Seite zu stellen. So geriet der Standpunkt der Efta – den die Schweiz bis zu dieser letzten Verhandlungsrunde eisern verfochten hatte – in die Minderheit. Die EU setzte sich auf der ganzen Linie durch.

Aus diesem für die Schweiz ungünstigen Verhandlungsresultat entstand danach das Zerwürfnis zwischen Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz und seinem – von der entscheidenden finalen Verhandlungsrunde ausgeschlossenen – Verhandlungsführer Staatssekretär Franz Blankart.

Das Verhältnis zwischen Efta-Gerichtshof und EU-Gerichtshof ist seit 1992 unverändert: Urteile des Efta-Gerichtshofs werden von der EU bestenfalls als Empfehlungen respektiert. Das letzte, unanfechtbare Wort darüber spricht für EU-Staaten und die EU insgesamt ausschliesslich der EU-Gerichtshof. Diese Tatsache war eines der entscheidenden Argumente dafür, dass das Schweizervolk in der denkwürdigen Abstimmung vom 6. Dezember 1992 den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abgelehnt hat.

Der «Verhandlungserfolg» von Doris Leuthard besteht also lediglich darin, ein weiteres «Argument» auf den Tisch legen zu können, das die wahren Verhältnisse, die mit dem Rahmenvertrag geschaffen werden, vernebeln soll. Der Efta-Gerichtshof wäre im Blick auf den angestrebten Rahmenvertrag nur eine Zwischeninstanz, die zwar Empfehlungen, nicht aber verbindliche Urteile fällen könnte. Es bliebe dabei, dass nach Annahme des Rahmenvertrags fremde Richter (jene des EU-Gerichtshofs) fremdes Recht (EU-Recht) über die Schweiz anwenden würden. Die Efta-Richter könnten einzig als Sprachrohre der EU-Richter amten. An der faktischen Unterwerfung der Schweiz unter die EU-Gerichtsbarkeit würde sich nichts ändern.

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