Die Schweiz ist nicht Mitglied des EU-Binnenmarktes

Führende Exponenten der EU, die sich oft zum Verhältnis Schweiz-EU äussern und dabei die Absage der Schweizer Bürger an die EU-Personenfreizügigkeit scharf kritisieren, seien über die rechtliche Bedeutung der bilateralen Verträge zwischen Bern und Brüssel höchst ungenügend im Bild. Das stellt die Basler Wirtschaftsprofessorin Christa Tobler fest.

EU-NO Newsletter vom 08.01.2015

Den Standpunkt von Prof. Christa Tobler zur EU-Reaktion auf das Schweizer Ersuchen zur Neuverhandlung der Personenfreizügigkeit hat die «NZZ am Sonntag» kurz vor Weihnachten veröffentlicht.

Christa Tobler – gewiss keine Gegnerin der bilateralen Verträge Schweiz-EU – stellt vor allem fest, dass vielen EU-Exponenten offenbar nicht klar sei, dass die Schweiz nicht Mitglied des EU-Binnenmarktes ist. In den bilateralen Verträgen hätten sich die beiden Vertragspartner Schweiz und Europäische Union lediglich den gegenseitigen Zugang zu ihren Märkten unter beidseits vereinbarten Bedingungen geöffnet. Automatische gegenseitige Übernahme von Beschlüssen und Gesetzen sei damit aber nicht verbunden.

Die entscheidende Passage in dem von Stefan Bühler verfassten «NZZ am Sonntag»-Artikel über die Haltung der Basler Professoren lautet wie folgt:

«Diese Woche hat es der EU-Rat in den Bericht über das Verhältnis zur Schweiz geschrieben: „Die Personenfreizügigkeit ist ein Pfeiler des EU-Rechts.“ Und die vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes, Personenfreizügigkeit, freier Warenverkehr, Dienstleistungsfreiheit, freier Kapitalverkehr seien „unteilbar“. Nachverhandlungen zur Personenfreizügigkeit seien darum unmöglich.

Das Argument ist bekannt: Schon am Tag, als die Zuwanderungsinitiative angenommen wurde, erklärte die damalige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding: „Der Binnenmarkt ist kein Schweizer Käse. Es gibt keinen Binnenmarkt mit Löchern.“ Eine Formel, die seither in Brüssel oft zu hören ist.

Doch durch die Wiederholung wird das Argument nicht richtiger: Wenn „ein Teil der obersten politischen Schicht der EU“ mit Bezug auf die Schweiz behaupte, den Binnenmarkt inklusive Personenfreizügigkeit gebe es nur ganz oder gar nicht, „dann zeugt das meines Erachtens von mangelnden Kenntnissen der bilateralen Verträge“, sagt Christa Tobler, Professorin für Europarecht an der Uni Basel. Die Schweiz habe nämlich nie alle Grundfreiheiten voll übernommen. „Im Gegenteil: Wir sind nur an drei Grundfreiheiten beteiligt und an keiner davon voll.“ Nicht einmal die Personenfreizügigkeit gelte in der Schweiz so umfassend wie in der EU. Denn dort sei sie auch auf juristische Personen anwendbar: Firmen dürften sich im Binnenmarkt niederlassen, wo sie wollten. Tobler: „Dieses Regime hat die Schweiz nur sehr beschränkt übernommen“, in separaten Abkommen über Versicherungen und den Flugverkehr.»

Aus diesen wohlbegründeten Ansichten der Basler Professorin Christa Tobler wird damit auch klar, was der Bundesrat mit dem der EU angebotenen «Rahmenvertrag» bezweckt: Im Unterschied zu bisherigen bilateralen Verträgen verpflichtet der Rahmenvertrag die Schweiz zur automatischen Übernahme von Gesetzen und Bestimmungen, die allein von der EU geschaffen werden. Während in bilateralen Verträgen im einzelnen festgehalten ist, welche Regelungen beide Seiten gleichberechtigt und einvernehmlich gegenseitig befolgen, ist die automatische Rechtsübernahme im Rahmenvertrag eine einseitige Verpflichtung allein für die Schweiz.

Deutlicher könnte kaum zum Ausdruck gebracht werden, dass dieser Rahmenvertrag in Wahrheit ein Unterwerfungsvertrag ist.

 

(Quelle: «NZZ am Sonntag», 21.12.2014: «EU-Spitze kennt bilaterale Verträge ungenügend», Verfasser: Stefan Bühler.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert