Argumentarium «Rahmenvertrag Schweiz – EU»

50 EU-Gerichtshof, Efta-Gericht, Menschenrechte und Direkte Demokratie

 

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56 «Option Schweiz»

 

56.01

Am 16. Oktober 2017 referierte der EU-Chefunterhändler Michel Barnier (Frankreich) vor dem belgischen Parlament über den Stand der Brexit-Verhandlungen.

56.02

Dem den Auftritt Barniers verfolgenden Korrespondenten von BBC London fiel auf, dass der Referent seinen Ausführungen ein Arbeitspapier zugrunde gelegt hatte mit dem Titel «Option Schweiz». Diesem Papier mass BBC London in ihrer Berichterstattung über den Barnier-Auftritt grosse Bedeutung bei.

56.03

In diesem Papier «Option Schweiz» formuliert die EU-Kommission ihre Ziele gegenüber der Schweiz in den Verhandlungen über den Abschluss eines Rahmenvertrags.

56.04

BBC London berichtet, dass es der EU darum geht, die Schweiz im geplanten Rahmenvertrag darauf zu verpflichten, den EU-Gerichtshof als höchste, von der Schweiz nicht mehr anfechtbare Gerichtsinstanz anzuerkennen für alle Fragen, die Brüssel als «binnenmarktrelevant» einstuft.

56.05

Mit Ausnahme der Basler Zeitung nahm in der Schweiz kein einziges Medienorgan Kenntnis von der BBC-Berichterstattung über dieses Papier «Option Schweiz», das belegt, dass die EU der Schweiz mit dem Rahmenvertrag substantiellen Souveränitätsverzicht zumutet.

56.06

Auch von Seiten des Bundesrats fehlt jede Stellungnahme zum EU-Arbeitspapier «Option Schweiz».

56.07

Gemäss «Option Schweiz» will die EU Bern im Rahmenvertrag auf folgende Position verpflichten:

 


Professor Dieter Freiburghaus, Experte für Europarecht:

«Akzeptiert die Schweiz den Europäischen Gerichtshof als Instanz, würden fremde Richter über die Schweiz befinden. Es läuft alles auf einen Verlust der Souveränität hinaus.»

(20 Minuten, 27. Juni 2013)


 

56.08

Was immer der EU-Gerichtshof beschliesse, gelte als Urteil – und Urteile seien für davon Betroffene verbindlich. Wenn jemand das, was vom EU-Gerichtshof als Beschluss ausgeht, anders bezeichnen wolle, so stehe ihm dies durchaus frei. Das ändere aber nichts an der Verbindlichkeit der Urteile des EU-Gerichtshofs: Diese seien endgültig und für jede Partei verbindlich und unanfechtbar. Wenn solche Urteile in irgend welchen nationalen oder internationalen Gremien diskutiert würden, so ändere sich am Gehalt und an der Verbindlichkeit ergangener Urteile nie etwas.

56.09

Gemäss der sich auf den Bericht von BBC London abstützenden Basler Zeitung habe Barnier in Belgien zur Schweiz folgende Position vertreten:

«Es sei mit der Schweiz ein Rahmenabkommen in Verhandlung, ‹das zu einer Rechtsprechung des EU-Gerichtshofes in Bezug auf EU-Recht führen würde›. Aus Sicht der EU legen also EU-Richter aus, was zwischen der Schweiz und der EU gilt. Das entspricht dem Mandat, das die EU vor vier Jahren für die Verhandlungen verabschiedet hat. Es ist aber etwas anderes als das, was der scheidende Bundesrat Didier Burkhalter und sein Direktor für Europäische Angelegenheiten, Botschafter Henri Gétaz, zum Rahmenabkommen sagen.

Diese behaupten jeweils, dass das EU-Gericht gar nicht endgültig entscheide. Nach einem Urteil könne sich die Schweiz immer noch anders entscheiden und dies beim Gemischten Ausschuss der EU und der Schweiz vorbringen. Allenfalls könne die EU dann Massnahmen gegen die Schweiz beschliessen, die allerdings von einem Schiedsgericht mit Schweizer Beteiligung beurteilt würden.»

56.10

Von Schiedsgericht, von nachheriger Debatte, von Empfehlungen des Gemischten Ausschusses steht im EU-Papier «Option Schweiz» gleich wie im «Non-Paper» vom 13. Mai 2013 und im Verhandlungsmandat der EU-Kommission kein Wort. Entsprechende Ausführungen aus dem Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern entpuppen sich als einseitige, von alt Bundesrat Burkhalter erfundene, vom Bundesrat nie dementierte Beschönigungen zur Beschwichtigung möglichen politischen Widerstands gegen den Rahmenvertrag.

56.11

Der von Michel Barnier in Belgien vorgetragene EU-Standpunkt unter dem Titel «Option Schweiz» hat ganz andere Folgen. Dazu wiederum die Basler Zeitung wörtlich:

«Das würde bedeuten, dass die Schweiz in Zukunft EU-Recht übernehmen müsste, das sie bisher im Rahmen von sektoriellen Abkommen nicht übernommen hat. Beispielsweise die Unionsbürgerrichtlinie.»

56.12

Die EU will sich mit dem Rahmenvertrag eine Überwachungsfunktion gegenüber der Schweiz sichern. Damit wird bestätigt: Das angestrebte Rahmenabkommen zwischen Bern und Brüssel ist weder ein Koordinations- noch ein Konsolidierungsabkommen, mit welchen Bezeichnungen es neuerdings von Bundesbern versehen wird. Das Rahmenabkommen bringt auch keine Erneuerung des bilateralen Wegs. Es zerstört diesen bilateralen Weg. Denn die Schweiz wäre mit diesem Vertrag nicht länger bilaterale, auf gleicher Augenhöhe mit Brüssel über gemeinsam interessierende Fragen verhandelnde Partnerin. Sie würde zur Befehlsempfängerin degradiert; Brüssel hätte das alleinige Sagen.

56.13

Das Rahmenabkommen ist in Wahrheit ein Unterwerfungsvertrag. Es unterstellt die Schweiz Brüssels gerichtlicher Oberhoheit. Mit dem Rahmenvertrag wird die Schweiz zu nichts anderem als zur Zwangsheirat mit der EU verurteilt.

Quelle: Dominik Feusi: «Den EU-Richtern unterworfen» (Basler Zeitung, 20.10.2017)

 

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