Argumentarium «Rahmenvertrag Schweiz – EU»
50 EU-Gerichtshof, Efta-Gericht, Menschenrechte und Direkte Demokratie
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57 Landesrecht und Völkerrecht
57.01
Die von der Politik mehrheitlich befolgte juristische Lehre in der Schweiz behauptet, es entspreche internationaler Norm, wonach Völkerrecht jedem nationalen Recht generell vorgehe.
57.02
Allerdings hat mit Ausnahme der Schweiz kein Staat dieser Welt einen solchen Grundsatz je beschlossen oder auch nur hinreichend konsequent befolgt. In der Schweiz fehlt dem Beschluss demokratische Legitimität. Er wurde von oben verfügt.
57.03
Die Schweizer Auslegung betreffend Vorrang allen Völkerrechts beruht auf zwei Bundesgerichts-Urteilen, wovon eines sich allerdings bloss auf einen Mehrheitsentscheid einer einzigen Kammer abstützt, zu dem das Plenum des Bundesgerichts bis heute nie Stellung genommen hat.
Roger Köppel, Nationalrat, Chefredaktor «Weltwoche»:
«Wer auf ausländischen Autobahnen fahren wolle, erklärte er (gemeint ist Bundesrat Ignazio Cassis), müsse sich ja auch an die dortigen Verkehrsregeln halten. Der Satz stimmt, aber der Vergleich ist falsch. Rahmenvertrag heisst nicht Respekt vor den Regeln der anderen. Rahmenvertrag heisst: Die Regeln der anderen gelten überall, auch in der Schweiz.»
(Weltwoche, 15. Januar 2018)
57.04
Gemäss geltender Bundesverfassung hat allein das sog. «zwingende Völkerrecht» (Folterverbot, Sklavereiverbot, Aggressionsverbot usw.) gegenüber der Bundesverfassung Vorrang. Dem unter 57.03 erwähnten Bundesgerichts-Entscheid fehlt also eine Verfassungsgrundlage.
57.05
Am 15. Dezember 2015 hat indessen das Deutsche Bundesverfassungsgericht ein Leiturteil zum Verhältnis «Landesrecht und Völkerrecht» gefällt.
57.06
In diesem Urteil wird festgehalten, dass im demokratischen Rechtsstaat jedes Gericht dem Demokratieprinzip unterworfen ist.
57.07
Zum Demokratieprinzip gehört, dass im demokratischen Rechtsstaat der Souverän des Landes immer das von jedem Gericht zu respektierende Recht innehabe, bestehende Rechtstatbestände aufgrund neuer Erfahrungen und Entwicklungen auf dem von der Verfassung vorgegebenen Weg zu verändern bzw. anzupassen. Dies könne dem Souverän auch durch völkerrechtliche Bestimmungen niemals verwehrt werden.
57.08
In jedem demokratischen Rechtsstaat enthält die Staatsverfassung Bestimmungen, wie geltendes Recht aufgrund neuer, sich im Souverän festigender Überzeugungen angepasst werden kann.
57.09
Entsteht aus einem Anpassungsentscheid des Souveräns ein Widerspruch zu geltendem Völkerrecht, so werde die Regierung durch den Entscheid des Souveräns verpflichtet, sich auf internationaler Ebene einsetzen für eine Änderung bzw. Korrektur jenes Völkerrechtsgrundsatzes, der mit dem im Land getroffenen Entscheid in Widerspruch geraten ist. Bliebe entsprechender Einsatz ohne Erfolg, müsse die Kündigung jenes Vertrags oder jener Konvention eingeleitet werden, die in Widerspruch zum Landesrecht geraten sind.
57.10
Mittels angeblichem Völkerrecht dem Souverän des Landes einen auf rechtsstaatlichem Weg zustande gekommenen Entscheid verbieten oder unterbinden zu wollen, widerspreche ebenso dem Demokratiegrundsatz wie die Nicht-Umsetzung eines vom Souverän getroffenen, einer völkerrechtlichen Vereinbarung widersprechenden Entscheids.
57.11
Die Behauptung, wonach unter Rechtsstaaten ein weltweit geltender Konsens darüber bestehe, dass Völkerrecht nationalem Recht generell vorgehe, entbehrt sowohl jeder politischen als auch jeder rechtlichen Grundlage.
57.12
In der Schweiz entsteht geltendes Recht aus der demokratischen Auseinandersetzung im Parlament bzw. aus Entscheiden des Souveräns. Derart in der Demokratie entstandenes Recht ist demokratisch legitimiert.
57.13
Völkerrecht ist dagegen von Diplomaten und Funktionären geschaffenes Vertragsrecht, dem demokratische Legitimität solange abgeht, als es vom Souverän des Landes auf dem von der Verfassung vorgeschriebenen Weg nicht ausdrücklich genehmigt und als gültig erklärt worden ist.
Weiterführende Links:
BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 – 2BvL 1/12/ Rn. (1-26)
ECLI: DE:BVerfG:2015:ls20151215.2bvl000112
«2C_828/2011 vom 12.10.2012» und «2C _716/2014 vom 26.11.2015»