Argumentarium «Rahmenvertrag Schweiz – EU»

40 Die Automatismen des Rahmenvertrags

 

 

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42 Konsequenzen für die Schweiz (Beispiele)

 

Mehrwertsteuer

 

42.01

Die Vereinheitlichung der Steuersätze und Steuerarten war für die EU seit jeher «binnenmarktrelevantes» Anliegen. Die Besteuerung von Bürgern und Firmen ist auch Gegenstand bilateraler Verträge. Kommt der Rahmenvertrag zustande, wird der EU das Entscheidungsrecht zugespielt, Schweizer Steuerarten und Steuer-sätze jenen der EU anzupassen. Die Erhöhung der Schweizer Mehrwertsteuer auf EU-Niveau kann dann durch die Schweiz kaum mehr verhindert werden.

42.02

Die Schweiz hat die Höchstsätze geltender Steuern (Mehrwertsteuer 7,7 %) in der Verfassung verankert. Damit können Steuererhöhungen nur mit Zustimmung von Volk und Ständen erfolgen. In der EU gelten dagegen verbindliche Mindest-Steuersätze (Mehrwertsteuer heute: Mindestens 15 %), die nach oben immer offen sind.

Weiterführende Links:

 

«Brüssel will das Gefälle bei der Mehrwertsteuer eliminieren» (Tages-Anzeiger, 04.10.2017) – Online-Abo nötig!

Piperi Olga: «Die Harmonisierung der direkten Steuern durch den Gerichtshof der Europäischen Union und das nationale Steuerverfahrensrecht» (2013)

 

Wettbewerbsrecht

 

42.03

Wettbewerbsrecht ist aus Sicht der EU «binnenmarktrelevant». Die Schweiz hat mit der EU bereits ein Abkommen über Wettbewerbsrecht abgeschlossen. Auf den «Sonderfall Schweiz» zugeschnittenes, von der Schweiz allein geschaffenes Recht unterliegt mit dem Rahmenvertrag der Gesetzgebungskompetenz der EU.

 

Quelle: Wengle Richard: Schweiz-EU (Stämpfli, Bern 2017, S. 114)

 

Tierschutz

 

42.04

Tiertransporte unterstehen in der EU dem Transportrecht, das Tiere grundsätzlich als «Ware» behandelt. Zum Transportrecht existiert zwischen der Schweiz und der EU der Transitvertrag. Tritt der Rahmenvertrag in Kraft, kann die EU einseitig das in der EU gültige, offensichtlich tierfeindliche Transportrecht auch auf die Schweiz ausdehnen. Hier gültige Tierschutzgesetze, die heute EU-Tiertransporte durch die Schweiz verhindern, kann die EU einseitig ausser Kraft setzen.

Nähere Infos: «Qualvolle Weltreisen für Rindviecher» (Spiegel, 22.04.2017)

 

Berufsbildung

 

42.05

Mit dem Rahmenabkommen kann die EU die Schweiz zwingen, die EU-Richtlinien über den Europäischen Berufsausweis nachzuvollziehen. Damit würde das so erfolgreiche duale Berufsbildungs-System der Schweiz mit der Berufslehre im Zentrum praktisch abgeschafft. Das fachliche Niveau der schweizerischen Beschäftigten würde mit Sicherheit sinken.

Quellen:

Wengle Richard: Schweiz-EU (Stämpfli, Bern 2017, S. 137/138)

Strahm Rudolf: Europa-Magazin, Januar 2014

 

 

Versicherungsrecht, Bankwesen

 

42.06

Zum Versicherungsrecht besteht zwischen der Schweiz und der EU ein Abkommen. Die EU erachtet die berufliche Versicherungspflicht als «binnenmarktrelevant». Damit läuft die Schweiz Gefahr, dass sie Sammelklagen im Bereich Versicherungsrecht analog der EU akzeptieren muss.

42.07

Ebenso müsste die Schweiz sog. «Unisex-Tarife» nach EU-Norm zulassen, also gleiche Prämien für Männer und Frauen akzeptieren – trotz der statistisch belegbaren Unterschiede, die wesentliche finanzielle Auswirkungen zeitigen.

42.08

Die Schweizer Bankengesetzgebung müsste jener der EU angepasst werden. Staatsgarantien für Kantonalbanken sowie Gebäudeversicherungs-Monopole wären in der Schweiz nicht mehr haltbar.

 

Migrations-Politik

 

42.09

Bezüglich des Schengen/Dublin-Vertrags hat sich die Schweiz verhängnisvollerweise zur automatischen Übernahme allen von der EU beschlossenen Folgerechts verpflichtet. Beschliesst die EU im Rahmen von Schengen/Dublin einen Verteilschlüssel für Migranten, die unter Missbrauch des Asylrechts nach Europa gelangt sind, wäre auch die Schweiz gezwungen, weitere illegal Eingewanderte zu übernehmen.

42.10

Tritt der Rahmenvertrag je in Kraft, dann würde die Schweiz jeden Einfluss auf die Einwanderung in die Schweiz verlieren. Schutzmassnahmen zugunsten inländischer, insbesondere schweizerischer Arbeitskräfte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt wären ihr untersagt.

 


Philipp Müller, Ständerat, ehem. FDP-Präsident, zum Rahmenvertrag:

«Wir wären damit das unsouveränste Land in Europa. Wir müssten völlig nach der Pfeife der EU tanzen und hätten nichts zu sagen. Da könnten wir ja gleich beitreten.»

(Blick, 7. Juni 2014)


 

EU-Haftbefehl

 

42.11

Betrugsbekämpfung ist aus Sicht der EU «binnenmarktrelevant». Mit dem Schengen-Abkommen besteht ein Vertrag, der die innere und äussere Sicherheit regelt. Die Einführung des EU-Haftbefehls müsste die Schweiz auf entsprechenden Entscheid der EU hinnehmen – ohne jedes Recht auf Mitbestimmung. Darauf müssten auch Schweizer Bürger, wenn ein EU-Land (ohne Begründungspflicht) die Auslieferung verlangen würde, überstellt werden.

Quelle: Wengle Richard: Schweiz-EU (Stämpfli, Bern 2017, S. 115)

 

Bargeld

 

42.12

In der EU ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die – zwecks umfassender Kontrolle über alle Geldgeschäfte der EU-Einwohner – nachdrücklich das Verbot von Bargeld anvisiert. Kommt dieses Verbot zustande, wird es zweifellos als «binnenmarktrelevant» erklärt werden. Bern könnte damit die Ausdehnung des Bargeldverbots auf die Schweiz nicht verhindern.

 

Deregulierung

 

42.13

Eigenständige Deregulierungsbemühungen würden der Schweiz untersagt. Der Rahmenvertrag steigert einerseits die Regulierungsdichte, anderseits wird es der Schweiz in allen von bilateralen Verträgen abgedeckten Sachbereichen nicht mehr möglich sein, eigene Regeln zu setzen, um nationalen Besonderheiten gerecht zu werden oder Überregulierung eigenständig zu bekämpfen.

Quelle: Wengle Richard: Schweiz-EU (Stämpfli, Bern 2017, S. 119)

42.14

Führt die EU z.B. Quotenregelungen nach Geschlecht, Jugendschutzmassnahmen, ein Recht auf Gegendarstellung, bestimmte sog. Anti-Diskriminierungsmassnahmen, neue Umweltschutzregelungen, Präventionsmassnahmen bezüglich Tabak- und Alkoholkonsum und andere neue Regulierungen ein, müssten diese von der Schweiz wohl fast immer nachvollzogen werden.

Nähere Infos: Richtlinie 2010/13 EU, Europäisches Parlament und EU-Rat, 10.03.2010

 

Staatliche Beihilfen

 

42.15

Die EU verlangt von der Schweiz, mit dem Rahmenabkommen die EU-Grundsätze für staatliche Beihilfen (staatliche Beihilfen an Unternehmen sind in der EU grundsätzlich verboten) so zu übernehmen, wie sie sowohl für alle EU-Mitgliedländer als auch für gewisse am Beitritt zur EU interessierte Partnerländer (zum Beispiel Türkei) in Kraft seien. Wer – wie die Schweiz – den Zugang zum EU-Binnenmarkt anstrebe, müsse diese Grundsätze zwecks Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zwingend übernehmen.

Das hätte für die Schweiz einschneidende Folgen:

42.16

Gemäss den EU-Grundsätzen für staatliche Beihilfen wäre zum Beispiel die Förderung alternativer Energien durch die öffentliche Hand nicht mehr erlaubt. Ebenso verboten wären steuerliche Anreize an ausländische Unternehmen, auf dass diese ihren Europa-Sitz in die Schweiz verlegen würden (solche Praktiken sollen beispielsweise Irland von Brüssel verbindlich untersagt worden sein).

42.17

Gemäss den EU-Grundsätzen für staatliche Beihilfen wäre es aber auch der Stadt Zürich verboten, den Zürcher Schlittschuhclub (ZSC) mit einem Darlehen zu unterstützen im Blick auf den Bau eines neuen Stadions.

42.18

Die EU will den Sachbereich «staatliche Beihilfen» mit dem Rahmenvertrag generell und definitiv regeln, während die Schweiz dahin tendiert, entsprechende Regelungen in neuen sektoriellen Abkommen (z.B. im Stromabkommen bzw. in einem Finanzdienstleistungsabkommen) festzulegen.

42.19

Würde ein solches Finanzdienstleistungsabkommen ins Auge gefasst, könnten die von den Kantonen ausgesprochenen Staatsgarantien für ihre Kantonalbanken nicht aufrecht erhalten werden.

 

Weiterführende Links:

 

«Treibt uns die EU die Subventionen aus?» (NZZ, 09.02.2018)

«Es droht uns ein Kulturschock» (Tages-Anzeiger, 31.01.2018)

 


Thomas Hürlimann, Schriftsteller:

«Wenn ich zuweilen mitbekomme, wie Schweizer Politiker in Berlin auftreten, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht!»

(NZZ am Sonntag, 23. April 2017)


 

Die EU-Unionsbürgerschaft

 

42.20

Die EU-Staaten haben mit der Unionsbürgerschaft jedes nationale Bürgerrecht der EU-Mitgliedstaaten zur Zweitrangigkeit abgestuft. Für Brüssel existiert kein auf ein einziges EU-Mitgliedland bezogenes Staatsbürgerrecht mehr. Die nationalen Bürgerrechte der EU-Mitgliedländer wurden abgelöst durch das sich auf die ganze EU erstreckende Unionsbürgerrecht.

42.21

Die Konsequenzen sind einschneidend: Wer zum Beispiel in Deutschland wahlberechtigt ist, ist – sobald er seinen Wohnsitz in ein anderes EU-Land verlegt – automatisch und sofort auch in diesem anderen EU-Land wahlberechtigt.

42.22

Kürzlich – der Fall hat in der Schweizer Öffentlichkeit unüberhörbaren Zorn ausgelöst – annullierte das Zürcher Obergericht ein Urteil, das die Ausweisung eines deutschen Schlägers, eines mehrfach vorbestraften, notorischen Gewaltstraftäters verfügt hatte. Der Ausweisungsentscheid stützte sich auf jenen Artikel in der

Bundesverfassung, der nach dem deutlichen Ja von Volk und Ständen zur Ausschaffungsinitiative vor einigen Jahren rechtswirksam geworden ist.

42.23

Das Zürcher Obergericht hat die verfassungskonforme Ausweisung des besagten deutschen Schlägers allerdings annulliert. Dies mit Hinweis auf die Tatsache, dass das Bundesgericht mit zwei 2012 und 2015 gefällten Entscheiden verfassungswidrig und willkürlich festgelegt hat, dass die Regeln der EU-Personenfreizügigkeit gegenüber der Schweizer Bundesverfassung übergeordnetes Recht darstellen würden.

42.24

Im Klartext: Auch dem ausländischen Kriminellen, auch dem mehrfach vorbestraften deutschen Schläger verschafft die EU-Personenfreizügigkeit das von der Schweiz nicht beinflussbare Recht, sich in der Schweiz niederzulassen, seine Strafe in der Schweiz abzusitzen und danach unangefochten in der Schweiz zu verbleiben – Ausweisungsartikel in der Bundesverfassung nach entsprechendem Volksentscheid hin oder her. Wird er nach der Strafverbüssung zum Sozialfall, dann hat die Schweiz ihn auszuhalten.

 


Carl Baudenbacher, Präsident des Efta-Gerichts, zur «institutionellen Einbindung» der Schweiz in die EU:

«Das ist kein Bilateralismus mehr, sondern Unilateralismus.»

(NZZ, 16. August 2013)


 

42.25

Der deutsche Schwerkriminelle geniesst auf diese Weise ein Privileg, das haargenau den Regeln entspricht, wie sie in der EU für die Unionsbürgerschaft gelten. So wie ein Land einen seiner Staatsbürger einst unter keinen Umständen an ein fremdes Land ausliefern durfte, so sorgt das Unionsbürgerrecht heute selbst für Kriminelle dafür, dass ihnen volle Freizügigkeit bezüglich Wohnsitznahme in der EU gewährleistet bleibt.

42.26

Indem das Bundesgericht die Personenfreizügigkeit verfassungswidrig als der Bundesverfassung übergeordnet erklärt hat, ist die Schweiz ganz offensichtlich zumindest wesentlichen Bestimmungen der EU-Unionsbürgerschaft bereits heute unterworfen: EU-Bürger können, selbst wenn sie schwer und wiederholt kriminell werden, nicht mehr aus der Schweiz ausgewiesen werden. Wird der Rahmenvertrag Tatsache, wird diese schon jetzt vom Bundesgericht verfügte Regelung nur noch weiter zementiert.

Nähere Infos: «Es droht mehr als nur fremde Richter» (Blick, 20.05.2018)

 

Der EU-Haftbefehl

 

42.27

Das Unionsbürgerrecht ist innerhalb der EU auch Voraussetzung für die Durchsetzung des EU-Haftbefehls. Will Spaniens Justiz einen Deutschen, dem irgendein Verbrechen vorgeworfen wird, vor Gericht stellen, dann muss Deutschland, wo der Gesuchte wohnt, den Angeschuldigten bedingungslos nach Spanien überstellen, also ausliefern.

42.28

Die Tatsache, dass der Auszuliefernde eigentlich deutscher Staatsbürger ist, nützt dem Beschuldigten nichts. Der Auslieferungsvorgang spielt sich innerhalb der EU weitgehend gleich ab wie Auslieferungen in der Schweiz zwischen den Kantonen zu erfolgen haben. Wird ein in Zürich eines Verbrechens Beschuldigter in Bern gefasst, so wird der Gefasste ohne grosse Umstände nach Zürich überstellt. Zürich muss Bern gegenüber keinerlei «hinreichenden Anfangsverdacht» begründen, bis die Auslieferung des Verhafteten stattfinden kann.

Quelle: Wengle Richard: Schweiz-EU (Stämpfli, Bern 2017, S. 115)

 

Freihandelspolitik

 

42.29

Seit Jahren, ja Jahrzehnten verfolgt die Schweiz eigentlich weltweit eine insgesamt höchst erfolgreiche Freihandelspolitik.

42.30

Der Schweiz ist es wiederholt gelungen, Freihandelsverträge mit wirtschaftlich wichtigen Ländern abzuschliessen, mit denen die EU bisher keine Freihandelsabkommen vereinbaren konnte. Wichtiges Beispiel: China.

42.31

Freihandelspolitik zielt darauf ab, den gegenseitigen Wirtschaftsverkehr behindernde Schranken abzubauen, ohne dass gesetzliche oder gesellschaftliche Regeln vom Vertragspartner übernommen werden müssen.

42.32

Freihandelsverträge werden von der EU zweifellos als «binnenmarktrelevant» eingestuft. Freihandelsverträge schliesst die EU generell als für alle ihre Mitglieder verbindlich ab. Den einzelnen Mitgliedländern ist eigenständige Freihandelspolitik nicht erlaubt.

42.33

Mit dem Abschluss eines Rahmenvertrags mit der EU würde die Schweiz das Recht auf eine eigenständige Freihandelspolitik einbüssen. Das hätte für ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung schwerwiegend negative Folgen.

 

Flankierende Massnahmen

 

42.34

Die flankierenden Massnahmen, die einheimischen Arbeitskräften (Schweizern und Ausländern) gewissen Lohnschutz gewährleisten, sind der EU längst Dorn im Auge.

42.35

Wirksame, eigenständig entwickelte flankierende Massnahmen zum Schutz einheimischer Arbeitskräfte könnte die Schweiz nach Abschluss eines Rahmenvertrags mit der EU nicht aufrechterhalten. Die EU lässt keinen Zweifel darüber offen, dass sie die völlige Gleichstellung aller Arbeitskräfte in der ganzen EU auf die Schweiz ausdehnen will. Die Gleichstellung aller Arbeitskräfte und Arbeitsbedingungen in der EU ist für Brüssel binnenmarktrelevantes Erfordernis.

 


Jakob Kellenberger, ehem. Staatssekretär und IKRK-Präsident, zum Rahmenabkommen:

«Wir müssen uns fragen, was der Mehrwert ist. Die Streitfälle in den bestehenden Verträgen kann man problemlos in den gemischten Ausschüssen behandeln. Kurzum: Ich bin nicht überzeugt von der Notwendigkeit eines solchen institutionellen Abkommens.»

(NZZ, 6. Dezember 2017)


 

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