Argumentarium «Rahmenvertrag Schweiz – EU»

30 Die Bilateralen I

 

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33 Die übrigen Verträge der Bilateralen I

 

Technische Handelshemmnisse

 

33.01

Inhalt: Vereinfachung der gegenseitigen Produktezulassung. Wer in die EU exportiert, muss sein Produkt nur noch von einer Zertifizierungsstelle überprüfen lassen. Das spart Zeit und Geld. Der Vertrag vereinfacht den Handel mit allen zertifizierten Produkten.

33.02

Beurteilung: Bereits vor diesem Vertrag hat die Schweizer Wirtschaft Vereinfachungen bezüglich Produktezulassung und -zertifizierung in Absprache mit europäischen Partner-Firmen erreicht. Ein Wegfall dieses Vertrags würde keine existenzbedrohenden Probleme verursachen. Es ist Schweizer Firmen schon heute möglich, ihre Produkte – freiwillig – von einer EU-Zertifizierungsanstalt in einem EU-Land zertifizieren zu lassen. EU-Firmen teilen das Schweizer Interesse an vereinfachter Produkte-Zulassung. Und die Schweiz importiert wesentlich mehr Güter aus der EU als sie in die EU exportiert. Die Kosten aus technischen Handelshemmnissen liegen bei rund 0,08 bis 0,16 % des Schweizer Exportvolumens.

33.03

Die Behauptung, Schweizer Firmen müssten bei Wegfall dieses Vertrags ihre Produkte in den 28 EU-Mitgliedländern einzeln zertifizieren lassen, ist falsch. Die Zertifizierung in einem einzigen EU-Land gilt für die ganze EU.

 

Öffentliches Beschaffungswesen

 

33.04

Inhalt: Die Ausschreibungspflicht für Beschaffungen oder Bauten wird ausgedehnt auf Gemeinden und gewisse private Unternehmen.

33.05

Beurteilung: Die Ausschreibungspflicht für öffentliche Aufträge ab 8,5 Millionen Franken wird in erster Linie durch WTO-Abkommen geregelt.  Das EU-Abkommen bringt einerseits gewisse Verbesserungen, anderseits baut es auch immer mehr bürokratische Hindernisse auf. Der Wegfall dieses Abkommens würde wenig spürbare Nachteile verursachen.

 

Landwirtschaft

 

33.0

Inhalt: Vereinfachung von Export und Import von Agrarprodukten. Freihandel für Käse. Senkung der Zolltarife für Früchte, Gemüse und Fleischspezialitäten.

33.07

Beurteilung: Ein Wegfall hätte keine spürbaren Auswirkungen.

 

Landverkehr

 

33.08

Inhalt: Marktöffnung für den Transport von Personen und Gütern zwischen der Schweiz und der EU. Schweizer Transporteure können Güter von einem EU-Staat in einen andern befördern.

33.09

Beurteilung: Dieses Abkommen ist für die EU sehr wichtig. Ohne Vertrag ist der freie Landverkehr auf der Nord-Süd-Achse Basel – Chiasso für EU-Spediteure nicht gewährleistet. Die Schweiz «subventioniert» mit dem Landverkehrsabkommen jede Transitfahrt von Grenze zu Grenze indirekt mit rund Fr. 300.–.

33.10

Aufgrund dieser Vorteile wird die EU dieses Abkommen kaum je fallenlassen. Für die Schweiz brächte der Verzicht auf das Abkommen Vorteile: Sie könnte den Verkehr von Grenze zu Grenze wieder selbst regeln.

 

Luftverkehr

 

33.11

Inhalt: Gegenseitige Zugangsrechte zu den Luftverkehrsmärkten. Schweizer Airlines können Flughäfen in der EU diskriminierungsfrei anfliegen.

33.12

Beurteilung: Die Garantie diskriminierungsfreien Zugangs zu den Flughäfen der EU-Mitgliedstaaten für alle Fluggesellschaften ist zwar von etwelcher Bedeutung. Nach eventueller Kündigung des Flugverkehrsabkommens ist indessen keinerlei Zusammenbruch des Flugverkehrs zu befürchten.  Sehr viele Fluggesellschaften fliegen die Schweiz gerne an. Und die früheren, vor Abschluss des Luftverkehrs-abkommens mit den europäischen Staaten einzeln abgeschlossenen Abkommen sind für Schweizer Fluggesellschaften noch immer gültig.

33.13

Wollte die EU dem Schweizer Luftverkehr vorsätzlich Schaden zufügen, wäre die Lufthansa-Tochter Swiss am stärksten betroffen. Ob Deutschland das zulassen würde?

 

Forschung

 

33.14

Inhalt: Schweizer Forscher und Firmen können sich an Forschungsprogrammen der EU beteiligen und davon wissenschaftlich, technologisch und wirtschaftlich profitieren, allerdings zu hohen Kosten.

33.15

Beurteilung: Im internationalen Vergleich belegen Schweizer Hochschulen (ETH/EPFL) Spitzenplätze. Sie sind zusammen mit britischen Universitäten, die bald die EU verlassen werden, in Europa einsame Spitze, arbeiten am häufigsten aber mit amerikanischen Hochschulen zusammen.

33.16

EU-Hochschulen ziehen aus der Schweizer Spitzenstellung hohen Gewinn. Würde die Schweiz von der EU ausgeschlossen, könnte sie damit einzusparende Beitragskosten an EU-Programme auf schweizerische Forschungsprojekte konzentrieren und resultatorientiert einsetzen.

 

Fazit

 

33.17

Die Schweiz könnte (bei Anwendung der Guillotine-Klausel) ohne grosse Probleme auf die Bilateralen I verzichten. Die Beibehaltung der Personenfreizügigkeit verursacht ihr weit mehr Nachteile als ein eventueller Wegfall der Bilateralen I.

Nähere Infos: Ausführliche Darstellung der sieben Abkommen der Bilateralen I

 


Markus Somm, Chefredaktor Basler Zeitung:

«Wenn der aktuelle Konflikt mit Brüssel etwas lehrt, dann genau dies: In der Schweiz kann keine Regierung einer EU-Kommission ein Rahmenabkommen in Aussicht stellen, weil bei uns immer ein misstrauischer, unberechenbarer Souverän dazwischenfunken kann. Ich bin überzeugt, unsere Unterhändler haben auch diesen Umstand den Europäern in Brüssel viel zu wenig ehrlich und ungeschminkt vermittelt. Unsere Regierung ist keine Regierung im landläufigen Sinne. Während Juncker, Merkel, Macron und Kollegen nur eine parlamentarische Mehrheit auf ihrer Seite haben müssen, um in Brüssel ein Versprechen zu machen – was sie meistens haben, da sie sonst gar keine Regierung bilden könnten –, muss unsere Regierung und unser Parlament am Ende immer vors Volk, sofern wir das verlangen.»

(BaZ, 23.12.2017)


 

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